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Rede zum Schwangerschaftskonfliktgesetz

Schwangerschaftskonfliktgesetz

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man etwas verändert, ist es gut, den Blick noch einmal zurückzurichten. Im Jahre 1995 wurde die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft, die einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigung des Embryos bis zur 22. Woche ermöglichte. Diese Entscheidung war richtig. Voraussetzungen für die Straffreiheit waren damals eine Pflichtberatung und die Einhaltung der Dreitagefrist.

Mit der Reform von 1995 wurde eine neue, die medizinische Indikation eingeführt. Ich sage es hier noch einmal deutlich: Die Behinderung des Embryos allein ist kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer medizinischen Indikation.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Voraussetzung für die Indikation ist vielmehr, dass die Fortsetzung der Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben bzw. die physische oder psychische Gesundheit der Schwangeren darstellt. Dass mit dieser Regelung verantwortungsbewusst umgegangen wird, zeigt sich daran, dass die Zahl der medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche ab der 12. Woche in der Zeit zwischen der Einführung dieser Regelung und dem Jahr 2007 um 36 Prozent zurückgegangen ist.

Darum ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Union seit über zehn Jahren versucht, diese medizinische Indikation mit dem Hinweis auf sogenannte Spätabbrüche auszuhöhlen. In vielen interfraktionellen Runden und einer Vielzahl von Einzel- und Ausschussanhörungen sollte ein Handlungsbedarf nachgewiesen werden. Bis 2005 wurde dieser von einer übergroßen Mehrheit verneint.

Heute liegen zwei Gesetzentwürfe und zwei Anträge vor. Alle Beteiligten haben sich in einem intensiven Prozess aufeinander zubewegt. Ich danke Ihnen dafür. Es bleiben aber Differenzen, die unüberbrückbar sind. An der Frage, woran das liegt, zeigt sich, dass wir offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sich Frauen sowie Ärzte und Ärztinnen in dieser schwierigen Situation verhalten.

Ich kenne keinen Fall, in dem ein Arzt, wenn er die Diagnose bekannt gibt, bereits ein freies Bett bereithält. Er würde sich damit im Übrigen strafbar machen; denn es muss ein anderer sein, der den Abbruch vornimmt.

(Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD])

Ich kenne auch keine Frau, die sich leichtfertig für den Abbruch einer Wunschschwangerschaft entscheidet. Insofern sehe ich keine Notwendigkeit, Frauen in Grenzsituationen zu drangsalieren oder Ärzte zu kriminalisieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Mir ist dieses Misstrauen gegenüber Frauen und Ärzten fremd.

Darum unterstütze ich auch nicht den Vorschlag, bezogen auf Ärzte zusätzliche Ordnungswidrigkeiten einzuführen. Eine gesetzeswidrige Indikation oder ein gesetzeswidriger Abbruch sind schon heute strafbar. Das Strafgesetzbuch sieht hierfür Geld- oder Freiheitsstrafen vor.

Ich lehne aber auch weitergehende statistische Erhebungen ab. Herr Kollege Singhammer, warum glauben Sie eigentlich, dass ein Arzt einen Fetozid verschweigt und in der Statistik eine Fehlgeburt oder eine Totgeburt angibt? Wenn dem so wäre, müssten deren Zahlen ansteigen. Das ist aber nicht der Fall. Ich weiß nicht, was man mit einer solchen Statistik erreichen will.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich komme zu einem Punkt, bei dem wir uns einig sind. Das ist die verbesserte Beratung Schwangerer, gerade bei einem auffälligen Befund. Schon heute haben Schwangere einen Rechtsanspruch auf Beratung, und zwar sowohl auf eine medizinische als auch auf eine psychosoziale Beratung. Aus der Praxis wissen wir aber, dass diese vielfach nur unzureichend erfolgt. Darum wird der Arzt nach dem Gesetzentwurf von Christel Humme, mir und anderen dazu verpflichtet, die Schwangere auf ihren Rechtsanspruch hinzuweisen und im Einvernehmen mit ihr einen Kontakt zu einer Beratungsstelle zu vermitteln, wobei die Schwangere dieses Vermittlungsangebot ablehnen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere ältere Schwangere - in der heutigen Zeit ist es häufig so, dass Frauen das erste Kind erst sehr spät bekommen - sind einem Automatismus von pränataldiagnostischen Untersuchungen ausgesetzt, ohne über Chancen und Risiken ausreichend informiert zu werden. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass Schwangere die Untersuchung ablehnen können und dass so ihr Recht auf Nichtwissen gewahrt wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn wir wissen, wie häufig Frauen Probleme haben, dem Arzt zu sagen: Ich will diese Untersuchung nicht. - Wir schreiben dieses Recht fest.

Ein wesentlicher Punkt, in dem sich die beiden Gesetzentwürfe unterscheiden, ist die Bedenkzeit zwischen Diagnose und medizinischer Indikation. Wir sind uns darüber einig, dass Frauen in dieser Situation eine ausreichende Bedenkzeit benötigen - in der Regel sind das drei Tage; das können aber auch 14 Tage sein -, um sich mit Menschen ihres Vertrauens zu beraten. Aber eine starre Frist von mindestens drei Tagen ist in manchen Situationen - das ist individuell verschieden - eine Zumutung für die Frauen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch der Abg. Ina Lenke [FDP])

Warum muss man eine Frau quälen, die aufgrund einer schweren genetischen Veränderung zum wiederholten Mal die Schwangerschaft abbrechen musste und sich schon mit dieser Situation auseinandergesetzt hat? Ich muss Ihnen sagen: Ich empfinde es als eine Anmaßung der Politik, dieser Frau eine Frist von drei Tagen vorzuschreiben. Politik kann nicht alles regeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, ich komme zum Schluss.

Ich möchte nicht, dass gut zehn Jahre nach der Abschaffung der embryopathischen Indikation deren Regelungen in die medizinische Indikation übernommen werden. Daher bitte ich Sie um die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, aber auch zu dem Antrag von Christel Humme, mir und anderen, in dem der Ausbau der Frühförderung und weitere Verbesserungen für das Leben von Kindern mit Behinderungen vorgesehen sind. Menschen mit Behinderungen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

 

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