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Rücknahme der Rente ab 67

Rücknahme der Rente ab 67

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rente mit 67 ist zugegebenermaßen kein populäres Thema. Das ist ja auch kein Wunder. Immerhin haben Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Politik fast 30 Jahre lang für eine Politik der staatlich finanzierten Frühverrentung geworben. Über drei Jahrzehnte war der Frühausstieg nur mit geringen oder vielleicht auch gar keinen finanziellen Einbußen verbunden. Die Älteren sollten den Jüngeren Platz machen; so ist es zum Jugendwahn auch in den Betrieben gekommen.

Im Antrag der Linken zur Abschaffung des Renteneintrittsalters mit 67 taucht dieses Argument wieder auf. Würden Sie ehrlich damit umgehen, meine Damen und Herren von den Linken, dann müssten Sie zugeben, dass diese Rechnung nie aufgegangen ist; Herr Ernst hat dazu gerade noch einmal Ausführungen gemacht.

Schauen wir uns einmal die Länder mit einer höheren Erwerbsbeteiligung Älterer an. Dort ist auch die Jugendarbeitslosigkeit niedriger als in Deutschland.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)

Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.

Zur Redlichkeit gehört auch, aktuelle Daten zu verwenden. Die Linke hat in ihrem Antrag ausschließlich mit Daten, die bis zum Jahre 2004 vorlagen, argumentiert. Dass sich die Entwicklung verbessert hat, und zwar in jedem Jahr in allen Altersstufen

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: In allen?)

- in allen; ich gebe Ihnen die entsprechenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes -, passt nicht in Ihre Ideologie.

Deutschland hat zu lange auf die falschen Instrumente gesetzt. Noch 2007 hat allein die Bundesagentur 1,2 Milliarden Euro für die Förderung der Altersteilzeit ausgegeben. Auch wurde die Altersteilzeit dreimal so häufig gefördert, wie junge Beschäftigte eingestellt worden sind. Deshalb, Kollege Schaaf, habe ich das Vertrauen nicht, von dem Sie vorhin gesprochen haben. Das interessiert aber die Linke nicht.

Viele halten es mittlerweile für selbstverständlich, vor Erreichen der offiziellen Altersgrenze in Rente zu gehen. Es ist eine Art Gewohnheitsrecht daraus entstanden - aus verständlichen Gründen. Deshalb ist es so unpopulär, für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit einzutreten. Für die Entscheidung, das Renteneintrittsalter schrittweise hochzusetzen, gibt es Gründe von Gewicht. Wir von den Grünen stehen dazu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bis 2030 steigt die Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen und Männern um weitere drei Jahre; Kollege Weiß hat es vorhin gesagt. Bei der vollständigen Umsetzung der Regelung zur Rente mit 67 im Jahre 2029 - das Renteneintrittsalter ist dann um zwei Jahre verschoben - ist die höhere Lebenserwartung nur zum Teil kompensiert worden. Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters wird darauf reagiert, dass die Menschen heute erfreulicherweise älter werden und durchschnittlich mehr als 17 Jahre lang Rente beziehen. Bei Frauen sind es über 20 Jahre.

Wir Grüne haben die Erhöhung des Renteneintrittsalters immer an eine Bedingung geknüpft: Die Beschäftigten müssen die Chance haben, auch tatsächlich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten zu können. Deshalb ist eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters mit uns nur dann zu machen, wenn die Beschäftigungschancen von älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen erheblich verbessert werden. Da hat die Politik noch eine ganze Menge zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit der ersten Debatte über die Erhöhung des Renteneintrittsalters sind schon drei Jahre vergangen. Herr Ernst, deshalb ist es sinnvoll, zu schauen, wie sich die Situation seither entwickelt hat. Vom Statistischen Bundesamt erfahren wir: In den letzten zehn Jahren ist die Erwerbstätigenquote in keiner Gruppe so stark gestiegen wie bei den 55- bis 64-Jährigen. 1997 waren 37,7 Pro-zent erwerbstätig, heute sind es bereits 51,5 Prozent.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Selbstverständlich.

Volker Schneider(Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben eine relativ große Kohorte, die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen, genommen. Ich bitte Sie, mir differenziert zu sagen, wie es bei den 55- bis 60-Jährigen und bei den 60- bis 65-Jährigen aussieht. Sie haben eben behauptet, wir würden mit den falschen Zahlen arbeiten. Ich hoffe, dass die Bundesregierung uns nicht die falschen Zahlen zur Verfügung gestellt hat. Die Bundesregierung hat uns die Auskunft gegeben, dass die Beschäftigungsquote bei den 60- bis 65-Jährigen leider weiterhin rückläufig ist und im Moment noch nicht einmal 15 Prozent mit 65 Jahren in Rente gehen. Das heißt, 85 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner werden, perspektivisch betrachtet, mit Abschlägen in Rente gehen. Daran hat sich in diesem Dreijahreszeitraum, wie gesagt, nichts geändert; im Gegenteil: Die Zahlen sind schlechter geworden. Aber vielleicht hat das Statistische Bundesamt ja andere Zahlen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das kann ich Ihnen sagen: Das Statistische Bundesamt hat 2009 deutlich gemacht, dass zwischen 2005 und 2007 nicht nur in allen Alterskohorten, sondern in jeder Altersgruppe ein Zuwachs vorhanden war. Da Sie dieses Argument schon im Ausschuss vorgebracht haben, habe ich mir das genau angeschaut. Das Statistische Bundesamt schreibt nicht das, was Sie gesagt haben. Das Statistische Bundesamt schreibt vielmehr, dass es wegen des Babybooms mehr Menschen im Alter zwischen 55 und 59 Jahren gibt und weniger Menschen im Alter zwischen 60 und 65 Jahren.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)

Das Statistische Bundesamt hat aber nicht gesagt, dass die Beschäftigung in diesen Bereichen ansteigt. Ich stelle Ihnen meine Zahlen gerne zur Verfügung. Wenn die Bundesregierung falsche Angaben gemacht haben sollte, Herr Staatssekretär,

(Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär: Warum sollte sie!)

werde ich sie Ihnen selbstverständlich auch geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Lebensrealität älterer Menschen, aber auch die Realitäten des Arbeitsmarktes haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Das wird auch weiterhin so sein. Viele Menschen wollen und können länger tätig sein. Die Alternativen zu einer längeren Lebensarbeitszeit wären Rentensenkungen oder höhere Rentenversicherungsbeiträge.

Wir dürfen uns allerdings nicht mit dem bisher Erreichten zufriedengeben. Die Kultur der Beschäftigung von Älteren muss verbessert werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die berufliche Weiterbildung für alle Altersgruppen, lebenslanges Lernen und altersgerechte Arbeitsplätze. Dazu gehört aber auch die Gesundheitsförderung, damit der Müllmann auch nach vielen Arbeitsjahren noch in der Lage ist, seinen Rücken gerade zu machen.

Diese Maßnahmen sind das Gebot der Stunde. Darum dürfen wir nicht locker lassen. Wir müssen in den nächsten 20 Jahren alles dafür tun, damit diese Menschen in Beschäftigung kommen. Sonst wäre das in der Tat eine durch die Hintertür eingeführte Rentensenkung. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

Jetzt frage ich mich: Was macht die Große Koalition? Sie ruht sich auf dem Erreichten aus.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie streitet sich!)

- Sie streitet sich. Na ja, in diesem Bereich streitet sie sich gerade mal nicht. - Sie macht Wahlgeschenke, die die Renterinnen und Rentner später zurückgeben müssen; das wissen sie nur noch nicht. Anfang dieser Woche haben die Bundeskanzlerin und Minister Scholz die außergewöhnliche Rentensteigerung in diesem Jahr - man muss sagen: in diesem Wahljahr - wie eine persönliche Weihnachtsüberraschung gefeiert; auch Herr Weiß hat das vorhin vorgetragen. Sie haben aber verschwiegen, welche Tricks Sie angewendet haben, damit die Renten im Wahljahr über Gebühr steigen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Allerdings!)

Sie verschweigen, dass die Aussetzung der Riester-Treppe in den Jahren 2012 und 2013 nachgeholt werden muss. Sie verschweigen den Erwerbstätigen, dass das Finanzpolster der gesetzlichen Rentenversicherung durch Ihre Wahlgeschenke schmilzt wie die Butter in der Sonne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)

Das sagen Sie den Menschen nicht. Sie sagen vor der Wahl, dass alle mehr bekommen. Dass sie hinterher mehr Belastungen haben werden, sagen Sie jedoch nicht.

Wer den Menschen Opfer abverlangt - die Aussicht, länger arbeiten zu müssen, empfinden viele als Opfer -, muss glaubwürdig an den Voraussetzungen arbeiten. Sie alle erinnern sich daran, mit welcher Heftigkeit in diesem Hause über Sonderlösungen für Dachdecker, Krankenschwestern und ähnlich belastende Berufe gestritten wurde. Die SPD hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt und zwei Jahre lang in regelmäßigen Abständen angekündigt, dass sie jetzt Übergangslösungen zur Abmilderung der längeren Lebensarbeitszeit vorschlagen will. Nach diesen zwei Jahren habe ich, außer dass ich in den Medien immer wieder von Ankündigungen gelesen habe, noch nichts gehört. Wir warten immer noch darauf, dass Sie uns einen Antrag zur Erleichterung von Teilrenten vorlegen.

Herr Kollege Schaaf hat gerade gesagt, der grüne Antrag sei gut. Schöner wäre es gewesen, die Große Koalition hätte sich auf den Weg gemacht. Denn es ist tatsächlich ein Unterschied, ob ein 50-Jähriger auf dem Bau oder an einer Universität arbeitet. Dem einen ist es wahrscheinlich möglich, sehr viel länger zu arbeiten. Darum schlagen wir flexible Übergangsmöglichkeiten vor. Der Bezug einer Teilrente soll bereits ab dem 60. Lebensjahr möglich sein. Das macht es für ältere Beschäftigte leichter, bis zur Regelaltersgrenze mit weniger Stunden zu arbeiten und mit der verbleibenden Arbeitszeit weiterhin Rentenanwartschaften aufzubauen.

Außerdem wollen wir, dass die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente wieder auf 63 Jahre gesenkt wird. Ich habe nicht verstanden, warum bei der Einführung der Rente mit 67 diese abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente auf das Alter von 65 hoch gesetzt worden ist. Das passt überhaupt nicht zusammen.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag "Kurs halten bei der Erwerbsintegration von älteren Beschäftigten - Teilrenten erleichtern".

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




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