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Häusliche Gewalt gegen Frauen

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)12.10.2007:

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am helllichten Tag hier vorne zu stehen und über Frauenpolitik zu sprechen, ist in dieser Legislaturperiode eine Seltenheit geworden. Die Große Koalition, aber auch die FDP und die Linke trauen sich mit diesem Thema nur äußerst selten ans Tageslicht.

 

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!)

 

Ich freue mich, dass das heute einmal anders ist. Im Prinzip reden wir auch über ein Problem der inneren Sicherheit. Deshalb hätte Herr Schäuble eigentlich hierbleiben können.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der bringt ohnehin nur Unsicherheit!)

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ich freue mich über den nachhaltigen Eindruck, den die rot-grüne Bundesregierung offensichtlich mit ihrem ersten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bei Ihnen gemacht hat. Denn der gesamte Feststellungsteil Ihres Antrages ist ein einziges Loblied auf die unter Rot-Grün verabschiedeten Maßnahmen. Ich nenne hier nur den ersten Aktionsplan gegen Gewalt und das Gewaltschutzgesetz.

 

Ich finde es schön, dass Sie unsere damalige Politik so ausführlich würdigen. Tatsächlich haben diese Maßnahmen und Gesetze zu einem Perspektivwechsel im Umgang mit häuslicher Gewalt geführt. Heute heißt es: Der Täter geht, das Opfer bleibt. Der Staat ist für den Schutz vor Gewalt in der Familie verantwortlich, nicht länger nur ein paar couragierte Frauenprojekte. Justiz und Polizei halten sich nicht länger heraus, wie sie es früher taten, um eine vermeintlich nicht zu störende Privatautonomie der Familie zu schützen.

 

Die Frauen nehmen das Gesetz an. Allein in Nordrhein-Westfalen wurde die Polizei im Jahr 2006 zu mehr als 19 000 Fällen häuslicher Gewalt gerufen. In fast der Hälfte der Fälle sprach sie einen Wohnungsverweis für die Gewalttäter aus.

 

Leider gilt noch immer: Gewalt durch den aktuellen oder ehemaligen Partner ist eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Leib und Leben von Frauen. Es wurde bereits gesagt: Mehr als jede vierte Frau erleidet sie einmal in ihrem Leben. Familie bleibt für Frauen der gefährlichste Ort; Familie ist kein Wert an sich. Das muss in den Ohren der Betroffen wirklich zynisch klingen.

 

Es ist deshalb richtig, an den ersten Aktionsplan anzuknüpfen. Aber ich muss sagen, Frau Ministerin: Ihre Verdienste in der Familienpolitik in Ehren, aber was Sie hier in der Frauenpolitik abliefern, ist wirklich unbefriedigend. Denn gemessen an den Problemen, die Sie richtig analysieren, sind die Lösungsvorschläge als mickrig zu bezeichnen.

 

Ich will ein Beispiel dafür nennen. Am deutlichsten wird das bei dem, was Sie zum besseren Schutz von Migrantinnen vorschlagen. In Ihrem Antrag steht, dass Sie diese Zielgruppe in den Blick nehmen wollen. Das hört sich prima an. Aber all die Modellprojekte und Studien werden den Migrantinnen wenig helfen. Was nützt zum Beispiel eine Onlineberatung für zwangsverheiratete Frauen – falls sie überhaupt einen Computer haben –, wenn sie sich aufgrund ihres ungesicherten Aufenthaltsstatus gar nicht aus der Zwangsehe befreien können oder wenn sie ins Ausland verschleppt wurden – das sind viele – und ihnen nach Ablauf eines halben Jahres die Rückkehr nach Deutschland und damit der nötige Schutz verwehrt wird? Das ist so, als würden Sie einer Ertrinkenden sagen, dass das Ufer nahe ist, aber nicht den Rettungsring werfen. Ihnen Schutz zu gewähren, ist unsere Aufgabe; das müssen wir tun. Sie haben das versäumt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen. Ich nenne das unterlassene Hilfeleistung.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

 

Ein sicherer Aufenthalt ist die Voraussetzung dafür, dass andere Maßnahmen wirken können. Alle Expertinnen und Experten haben uns gesagt: Ein Rückkehrrecht und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bei Zwangsverheiratung müssen in das Gesetz aufgenommen werden. Das ist die allerwichtigste Hilfe für Zwangsverheiratete. Die Bundesregierung ist auf diesem Ohr leider taub und verschließt den Hilfesuchenden die rettende Tür.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)

 

– Doch, das stimmt.

 

Während wir uns hier über ein paar Modellprojekte unterhalten, denken die unionsgeführten Bundesländer bereits über weitere aufenthaltsrechtliche Verschlechterungen nach, konkret darüber, ob die Frist bis zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht für ausländische Ehegattinnen nicht wieder auf drei Jahre erhöht werden sollte.

 

Frau Noll, Sie haben vorhin das Zehn-Punkte-Programm der Landesregierung Nordrhein-Westfalens angesprochen; das hört sich wunderbar an. Aber warum haben Sie nicht gesagt, dass die einzige Schutzeinrichtung für junge Mädchen in Bielefeld von ebendieser Landesregierung geschlossen worden ist? Das ist die Doppelbödigkeit Ihrer Politik: Sie versprechen etwas, Sie machen Modelle und schreiben Broschüren; aber diese Schutzeinrichtung, in der die erforderliche Hilfe gewährt werden konnte, wird geschlossen. Das ist wirklich doppelzüngig.

 

Frau Ministerin, Ihr Aktionsplan mag gut gemeint sein, aber für uns gilt auch hier: Gut gemeint ist nicht immer gut. Die von Gewalt betroffenen Frauen im Land haben mehr verdient als einen Aktionsplan mit warmen Worten und wenigen Taten.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

 

 



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