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Rentenversicherung

Irmingard Schewe-Gerigk, Rentenversicherung

21. September 2007

 

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schneider, der Titel Ihres Antrages hat mich zunächst neugierig gemacht. Wer nur den Titel kennt, könnte die Erwartung haben, dass uns ein Konzept vorgelegt wird, mit dem wir uns heute auseinandersetzen können. Aber bei näherer Betrachtung ist das, was die Linkspartei vorlegt, ein erneuter rentenpolitischer Rundumschlag nach dem Motto: Wenn wir nur alles zurücknehmen und allen alles versprechen, dann ist die Welt schon wieder in Ordnung.

 

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Jawohl!)

 

Ich könnte es mir einfach machen und meine Rede, die ich Anfang Juli hier gehalten habe, einfach wiederholen. Denn bereits Anfang Juli lag uns ein ähnlicher Antrag vor: Alle Reformen zurücknehmen, die goldenen Zeiten unter Kohl und Blüm wiederbeleben – und die Rente ist sicher.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Das ist das, was Die Linke uns heute erneut als ihr rentenpolitisches Konzept verkaufen will. Das ist einfach zu mager, und ich frage mich, was Sie mit diesem erneuten Aufguss Ihrer alten Anträge wirklich bewirken wollen. Wollen Sie nur die SPD ärgern, oder warum stellen Sie immer wieder die gleichen Anträge? Ein grüner Tee wird bei erneutem Aufguss besser, von den Anträgen der Linken kann man das aber nicht behaupten.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

 

Wir Bündnisgrünen stehen zu den Strukturreformen, die die Nachhaltigkeit des Rentensystems wesentlich verbessert haben. Wir stehen zur Abkehr von der Frühverrentungspolitik, die ältere Beschäftigte auf Kosten der Allgemeinheit aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzt. Wir stehen zu den Verbesserungen für die Rentenanwartschaften von Frauen durch Anrechnung der Kindererziehungszeiten und der Angehörigenpflege in der Rente. Wir stehen auch zu den ersten Schritten auf dem Weg zu einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen. Ferner stehen wir dazu, dass sich die gesetzliche Rente, die private und die betriebliche Altersvorsorge sinnvoll ergänzen. Ziel grüner Rentenpolitik ist es, jede und jeden individuell gegen Armut zu schützen. Auch künftige Rentnerrinnen und Rentner müssen am gesellschaftlichen Wohlstand teilhaben können. Deshalb wollen wir die Koppelung der Rente an die Entwicklung der Löhne und Gehälter beibehalten.

 

Aber wir brauchen dringend Nachbesserungen an den Schwachstellen der aktuellen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass Geringverdienende zukünftig nicht mehr vor Altersarmut geschützt sind. Bei einer zunehmenden Zahl von Beschäftigten sind die Löhne so niedrig, dass sie trotz einer Vollzeitstelle ergänzend Arbeitslosengeld II benötigen. Nicht alle nehmen das in Anspruch, aber nach Schätzungen betrifft es mindestens 1 Million Menschen. Diese Gruppe ist schon während der Erwerbsphase arm und wird es im Alter ebenso sein. Darum brauchen wir auch einen Mindestlohn. Es ist wichtig, dass schon während der Erwerbszeit eine entsprechende finanzielle Ausstattung vorhanden ist.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Die OECD und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben kürzlich auf ein höheres Armutsrisiko von Geringverdienenden und Langzeitarbeitslosen hingewiesen und ein Nachjustieren gefordert. Als ersten wichtigen Schritt verlangen wir daher von der Bundesregierung und der Großen Koalition die Rücknahme der halbierten Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose. Ein Rentenanspruch von 2,19 Euro pro Monat ist skandalös. Ich finde es beschämend, wenn trotz der guten Konjunktur gerade an dieser Stelle gespart wird.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

 

 

 

Langzeitarbeitslose dürfen auch nicht zwangsweise mit Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt werden. Sie, die Große Koalition, verhindern immer wieder, dass die vorliegenden Anträge auf die Tagesordnung kommen; denn das Ganze ist Ihnen peinlich. Sie wissen, dass Sie da etwas tun müssen. Aber wir werden Ihnen nicht ersparen, darüber zu diskutieren. Wir werden Sie immer wieder darauf hinweisen, dass Sie schlechte Vorschläge gemacht haben.

 

Wir müssen in der Rentenpolitik aber auch neue Wege gehen, um Versicherte individuell besser vor Armut im Alter zu schützen. Das Berufsleben von immer weniger Bürgerinnen und Bürgern folgt heutzutage einer vorgezeichneten Bahn. Die Tätigkeiten abhängig Beschäftigter und Selbstständiger gehen ineinander über. Wir wissen, dass mehr als drei Viertel aller Selbstständigen in keinem Alterssicherungssystem obligatorisch versichert sind. Darum wollen wir Grüne eine obligatorische Absicherung in der Rentenversicherung für diejenigen Selbstständigen, die über keine Alterssicherung verfügen. So gewinnt die gesetzliche Rentenversicherung vermehrt die Funktion einer Erwerbstätigenversicherung.

 

Aber anders als Sie, Herr Schneider und die Linke, wollen wir die Versorgungswerke von Selbstständigen und die landwirtschaftlichen Alterssicherungssysteme als rechtlich selbstständige Systeme erhalten. Der verfassungsrechtlich verbürgte Eigentumsschutz gilt nämlich auch für berufsständische Versorgungswerke.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

 

Planwirtschaft ist hier nicht angesagt. Es könnte allenfalls sinnvoll sein, die Versorgungswerke mittelfristig unter das Dach der Rentenversicherung zu bringen, um Verwaltungskosten einzusparen.

 

Gegen eine universelle Rentenversicherungspflicht, wie Sie von den Linken sie wollen, sprechen aber auch finanzielle und demografische Argumente. Es ist vorhin schon gesagt worden: Wir wissen, dass die Lebenserwartung in dieser Gesellschaft nicht gleich ist: Beamte und Selbstständige haben im Allgemeinen eine höhere Lebenserwartung als abhängig Beschäftigte.

 

Da ist es eigentlich sehr kurzfristig gedacht, die Kassen jetzt erst einmal prall füllen zu wollen und nicht zu berücksichtigen, dass später eine vielfach höhere Rentenleistung ausgezahlt werden muss. Herr Schneider, wollen Sie den Rentenversicherten auch die ungedeckten Lasten und die hohen Kosten der Beamtenversorgung aufbürden? Wollen Sie den gesetzlich Versicherten die Lasten der fehlenden Alterssicherung von Selbstständigen aufhalsen?

 

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das machen Sie doch jetzt schon! Der Steuerzahler zahlt! Das ist doch das Problem!)

 

Sie versprechen doch allen eine Alterssicherung, die den Lebensstandard sichern soll.

 

Die Fraktion Die Linke hat mit ihrem Antrag viele Fragen aufgeworfen, aber auf die heiklen Fragen keine überzeugenden Antworten gegeben. Deshalb finde ich, dass Ihr Anliegen hier billiger Populismus ist. Sie wollen es allen recht machen, drücken sich aber davor, die Konsequenzen beim Namen zu nennen.

 

Noch eines ist mir aufgefallen: Weder in Ihrer Analyse noch in Ihren vermeintlichen Lösungen kommen die dauerhaft niedrigen Rentenanwartschaften von Frauen vor. Diese Anwartschaften ignorieren Sie einfach. Da liegt der Verdacht nahe, dass Sie die Frauen nur als Zuverdienerinnen sehen, deren eigentliche Bestimmung in der häuslichen Sorge liegt, so wie es auch Ihr Vorsitzender Lafontaine propagiert. Das werden sich die Frauen nicht bieten lassen.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Teilweise war es gut!)

 

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