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Lebensstandardsicherung und Rente
6. Juli 2007
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ein bisschen muss die Sommerpause noch warten. Als letzte Rednerin in dieser Debatte spricht nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem heutigen Antrag "Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente" stellt die Linke den Kern ihres rentenpolitischen Programms vor. Sie wollen, wie das "Handelsblatt" zu Recht kommentiert, "Zurück in die Zukunft". Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen Sie eine Rückkehr zu den Rentenformeln von 1992 – aus der Regierungszeit von Blüm und Kohl – vor. Ich frage mich, warum Sie nicht stattdessen zu dem Stand von 1989 zurückkehren wollen. Denn am 9. November 1989 wurde eine große Rentenreform mit dem Übergang vom Brutto- zum Nettolohnprinzip beschlossen. Das wäre doch ein noch besserer Ansatzpunkt für Sie gewesen.
(Zuruf von der LINKEN: Sie waren doch im Bundestag!)
– Da war ich auch noch nicht hier.
Sie wollen zurück zu einem Nettorentenniveau von 70 Prozent des Erwerbseinkommens. Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen Sie einen Beitragssatz für die gesetzliche Rentenversicherung von 28 Prozent vor. Eine solche Maßnahme wird bei der jüngeren Generation sicherlich einen Freudentaumel hervorrufen. Die mittelständischen Betriebe, die heute Arbeitsplätze schaffen, werden darüber bestimmt in wahre Begeisterungsstürme fallen. Übertragen auf andere soziale Sicherungssysteme erreichen Sie damit spielend ein Abgabenniveau von 50 Prozent vor Steuern auf Löhne und Einkommen.
Als Kronzeugen für diese unsägliche Politik bemühen Sie die jüngst veröffentlichte OECD-Studie zur Rentenpolitik im Ländervergleich. Die OECD hat zu Recht auf die fehlende Armutssicherung im deutschen Rentenrecht aufmerksam gemacht und entsprechende Korrekturen angemahnt.
(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das haben Sie immerhin gelesen!)
– Dazu komme ich noch. – Sie hat keine pauschale Bewertung vorgenommen.
Was Sie – auch Herr Schneider – ansprechen, ist unseriös. Ich zitiere eine wesentliche Aussage aus der OECD-Studie:
Deutschland hat mit den Reformen der vergangenen Jahre die finanzielle Nachhaltigkeit des Systems deutlich erhöht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Sie, Herr Schneider und Herr Lafontaine, wollen dagegen das Rad zurückdrehen.
(Zuruf von der LINKEN: Die Tabellen sehen eben einfach anders aus!)
Mit uns ist eine solche Rattenfängerpolitik nicht zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wir Grünen stehen für Strukturreformen, die ältere Beschäftigte nicht auf Kosten der Allgemeinheit aus dem Arbeitsmarkt ausgrenzen. Wir stehen für Verbesserungen, die die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Pflege in der Rentenpolitik bewirkt haben. Wir stehen für eine eigenständige Alterssicherung von Frauen.
Es ist antiquiert, zur Rentenformel aus dem Jahre 1992 zurückkehren zu wollen. Mir wäre es peinlich, Herr Schneider, wenn ich einen solchen Vorschlag gemacht hätte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Die Menschen wollen nicht, dass Politik ihnen etwas vorgaukelt. Wir brauchen Veränderungen an den Schwachstellen der aktuellen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. An dieser Stelle wende ich mich zur anderen Seite des Hauses.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Zur FDP!)
Wir brauchen in der Rentenpolitik Maßnahmen, die individuell vor Armut schützen, von der, wie wir wissen, vor allem die Geringverdienenden betroffen sind. Notwendig sind auch eine Angleichung der Rentenwerte zwischen Ost und West und weitere Schritte zu einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen die Rentenversicherung schrittweise zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickeln. Viele Selbstständige – etwa solche in unsteten Jobs – haben keine Alterssicherung. Sie brauchen eine Erwerbstätigenversicherung.
Als ersten Schritt erwarten wir von der Großen Koalition die Rücknahme der Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge von Langzeitarbeitslosen. Das war eine katastrophale Entscheidung, die zwar dem Bundeshaushalt 2 Milliarden Euro eingebracht hat, aber die langzeitarbeitslosen Menschen auch im Alter schlechterstellt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es beschämend, dass sogar bei einer guten Konjunkturlage an dieser Stelle gespart wird.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, über den wir heute nicht gesondert diskutieren – wir haben einen entsprechenden Antrag vorgelegt –: Langzeitarbeitslose dürfen nicht zwangsweise mit Abschlägen vorzeitig in Rente geschickt werden. Wenn die Große Koalition langfristig die Rente mit 67 einführen will – was wir auch unterstützt haben –, dann darf sie nicht die Langzeitarbeitslosen mit 63 zwangsweise in Rente schicken. Das hat zur Folge, dass sie 14 Prozent weniger Rente bekommen. Das ist absolut unsozial, und Sie werden es zurücknehmen müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, Ihre Konzepte sind rückwärtsgewandt, nicht finanzierbar und unseriös. Sie nehmen keine Rücksicht auf die Zukunftsperspektiven der jungen Generation. Die Jungen müssen durch steigende Sozialabgaben die Zeche zahlen, ohne die Sicherheit zu haben, selbst später einmal eine auskömmliche Rente zu erhalten. Eine solche Politik ist billiger Populismus und rückwärtsgewandt. Das werden wir nicht akzeptieren.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
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