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Weibliche Genitalverstümmelung

1. Februar 2007

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren hatte die grüne Bundestagsfraktion das Thema weibliche Genitalverstümmelung erstmals mit einer großen Anhörung auf die politische Agenda gesetzt. Damals haben wir ein gesellschaftliches Tabu gebrochen. Aus unserem kurz darauf folgenden Antrag wollte die Bundestagsverwaltung den Ausdruck Genitalverstümmelung ausdrücklich herausstreichen; sie hielt ihn für unzumutbar. Wir haben uns dann doch durchgesetzt. Heute ist nicht nur die Bundestagsverwaltung ein großes Stück weiter.

 

Damals wurde uns von der "taz" die Einmischung in fremde Kulturen vorgeworfen; sie sprach von "westeuropäischer Überheblichkeit". Dabei hatten 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking afrikanische Frauen selbst gefordert, Genitalverstümmelung als ein gesundheitspolitisches Problem und als eine Menschenrechtsverletzung anzuprangern. Im Gegensatz zu vielen europäischen Wohlmeinenden wussten sie nämlich, dass die profane Begründung für diese grausame Praxis nichts anderes ist als männlicher Kontrollanspruch über die weibliche Sexualität.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

 

Ich denke, darin ist sich der gesamte Bundestag heute einig: Die Zeiten, in denen Menschenrechtsverletzungen an Frauen als Ausdruck einer bestimmten Kultur oder Religion von unserer Gesellschaft, ja auch von vielen in diesem Hause für hinnehmbar gehalten wurden, sind ein für alle Mal vorbei.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

 

Übrigens hat auch eine angesehene islamische Instanz, der Großmufti von al-Azhar, weibliche Genitalverstümmelung kürzlich zu einem strafbaren Verbrechen erklärt, das gegen die höchsten Werte des Islam verstößt. So viel zur Religion.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Aber manche im Bundestag machen es sich immer noch sehr bequem: Sie prangern die Menschenrechtsverletzungen an Frauen zwar an, tun aber wenig, um diesen auch tatsächlich zu helfen. Jahrelang haben sich Union und zunächst auch Teile der SPD geweigert, die weibliche Genitalverstümmelung als eigenständigen Asylgrund anzuerkennen. Erst in den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz konnten wir Grüne uns endlich durchsetzen. Vorher wurden zahlreiche Mädchen und Frauen - Menschenrechtsverletzung hin oder her - wieder dorthin zurückgeschickt, wo ihnen die grausame Praxis drohte, die immerhin für jede zehnte Frau den Tod bedeutet, für die anderen meist lebenslange Qualen. Sie wissen, weltweit sind circa 130 Millionen Frauen an ihren Genitalien verstümmelt; täglich kommen 6 000 bis 8 000 neue hinzu.

 

Genitalverstümmelung ist inzwischen aber auch zu einem deutschen Problem geworden: Schätzungen zufolge leben bei uns 30 000 Mädchen und Frauen, die davon betroffen oder bedroht sind. Viele Eltern, die durch Migration und Flucht nach Europa gekommen sind, werfen den Glauben daran, dass diese grausame Praxis für ihre Töchter biologisch oder sozial notwendig ist, hier einfach nicht über Bord. Die Mädchen werden zum Zweck der Verstümmelung häufig ins Ausland verbracht. Wir wissen, dass solche Verstümmelungen aber auch in Deutschland vorgenommen werden, teilweise unter Beteiligung medizinischen Personals, und das müssen wir verhindern.

 

(Beifall im ganzen Hause)

 

Dazu müssen wir weitere konsequente Maßnahmen ergreifen. Andere europäische Staaten haben es uns bereits vorgemacht, und die Vereinten Nationen empfehlen es auch: Wir wollen, dass die weibliche Genitalverstümmelung explizit in das Strafgesetzbuch aufgenommen wird, und zwar als Tatbestand der schweren Körperverletzung; denn um eine solche handelt es sich bei dieser grausamen Praxis.

 

Oftmals sind die Eltern zugleich auch die Täter. Kommt es tatsächlich zu einer Ausweisung der Eltern, muss natürlich sichergestellt werden, dass das Opfer selbst nicht ausreisen muss. Selbstverständlich reicht ein ausdrückliches Verbot nicht aus. Wir müssen flächendeckend darüber informieren. Aber auch die Betroffenen müssen wissen, welch schwere seelische und körperliche Schäden sie ihren Töchtern zufügen. Ganz wichtig dafür ist die Schulung gerade ihrer potenziellen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Das sind zunächst Ärztinnen und Ärzte, zu denen die Mädchen und Frauen in die Sprechstunde kommen. Das Thema Genitalverstümmelung muss daher Eingang in die medizinische Aus- und Fortbildung finden. Ärzte müssen wissen, dass sie ihre Approbation verlieren können, wenn sie eine solche Verstümmelung vornehmen,

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

 

selbst dann, wenn die Patientin einwilligt. Das ist nämlich unwirksam.

 

Die neuen Empfehlungen der Bundesärztekammer begrüßen wir ausdrücklich als eine gute Grundlageninformation. Ich finde aber, sie sollten noch einmal daraufhin evaluiert werden, ob sie nicht noch detailliertere Informationen enthalten müssten.

 

Fortbildung und Sensibilisierungbrauchen aber auch Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Justiz, Lehrer und Lehrerinnen, Sozialarbeiter und viele andere, um die strafrechtliche Verfolgung zu verbessern und Hinweise auf eine möglicherweise drohende Genitalverstümmelung frühzeitig zu erkennen.

 

Auf internationaler Ebene muss die Bundesregierung sicherstellen, dass Länder, in denen Genitalverstümmelung in großem Maße stattfindet - ich nenne das Land Mali -, weder durch deutsche Behörden noch durch die EU als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])

 

Natürlich muss sie sich auch für entsprechende Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat heute Morgen schon gesagt, dass sie das machen will. Das finde ich sehr gut.

 

Auch der Einsatz für Bildung und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen ist zugleich ein Einsatz für die Bekämpfung von Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen gegen sie. Ich freue mich, dass die beiden anderen Oppositionsfraktionen auf unsere Initiative hin ebenfalls Anträge eingebracht haben, auch wenn die Linke kaum substanzielle Forderungen aufstellt und die FDP vor allem eine Reihe von Prüfaufträgen vergibt. Ich sage ausdrücklich: Wir finden den Antrag der FDP, zu überprüfen, ob hier nicht das Weltrechtsprinzip gelten kann, richtig.

 

Schade ist, dass sich die Bundesregierung bisher noch gar nicht geäußert hat, was sie tun möchte, um den Schutz der Frauen und Mädchen zu verbessern. Bei diesem Thema sollten wir alle zusammenarbeiten: Regierung und Opposition, Bund und Länder. Wir Grüne sind auf jeden Fall zu einem gemeinsamen Vorgehen bereit. Lassen Sie uns möglichst bald darüber reden, welche Maßnahmen wir gemeinsam ergreifen können, um den Frauen zu helfen.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

 

 



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