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Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In den vergangenen Jahren wurden etliche politische Maßnahmen ergriffen, um der Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben entgegenzuwirken. Die Gleichstellungsgesetze für den Öffentlichen Dienst und die Bundeswehr, das Teilzeit- und Befristungsgesetz und der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreu-ung sowie die Verbesserungen bei der Elternzeit waren dafür wichtige Schritte.
Die 1994 erweiterte Formulierungen des Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz sind die wichtigsten rechtlichen Grundlage für die Gleichstellung von Mann und Frau. Neben der Gleichberechtigung der Geschlechter fordert dieser Artikel auch ihre tatsächliche Durchsetzung durch die Politik ein. Denn Gleichberechtigung ergibt sich nicht automatisch, sondern muss gesellschaftlich, politisch und gesetzlich begleitet und gestaltet werden. Der Staat muss den beteiligten AkteurInnen klare Anreize zu einer Verhaltensänderung geben. Nach wie vor bestehen erhebliche Nachteile für Frauen im Erwerbsleben. Das ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem. Die Männerdominanz in der Wirtschaft ist auch ein erhebliches Innovationshemmnis für eine Wissensgesellschaft. Die Wirtschaft kann es sich gar nicht länger leisten, auf die Begabungen und die Potenziale von Frauen zu ver-zichten.
In Deutschland finden sich die nahezu größten Einkommensunterschiede zwi-schen Frauen und Männern der gesamten Europäischen Union. Noch höher ist das Gehaltsgefälle nur noch in Estland und der Slowakei. In Westdeutschland verdienen vollzeitbeschäftigte Frauen im Durchschnitt 23% weniger, in Ost-deutschland ca. 10%. Ein Drittel der geschlechtsspezifischen Einkommensun-terschiede in Westdeutschland und ein Viertel in Ostdeutschland lassen sich nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung allerdings nicht durch strukturelle Differenzen erklären und müssen allein direkter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zuge-schrieben werden.
In Führungspositionen deutscher Unternehmen sind Frauen nur marginal vertre-ten. In Unternehmen mit über 500 MitarbeiterInnen liegt der Anteil der weiblichen Führungskräfte bei gerade vier Prozent. Dagegen zeigt das Beispiel Norwegen: Wenn ein Staat seinen Verfassungsauftrag ernst nimmt, kann er viel tun. In Norwegen müssen per Gesetz 40% der Sitze in Aufsichtsräten von Frauen besetzt sein. Börsennotierte Unternehmen, die diese Quote bis September 2005 nicht erreichten, können dies bis 2007 noch tun, danach verlieren sie ihre Zertifizierung an der Börse. Wenn in Deutschland Frauen in einem Aufsichtsrat sitzen, wurden sie nahezu ausschließlich von den ArbeitnehmerInnenvertretungen entsandt.
Die Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft kann nicht weiter der Frei-willigkeit der Unternehmen überlassen bleiben. Denn die seit 2001 bestehende freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der Wirtschaft hat nur zu kaum messbaren Veränderungen geführt. Gesetzliche Regelungen, die Anreize setzen, die Potenziale von Frauen zu nutzen, sind gesamtwirtschaftlich sinnvoll und notwendig. Dazu gehört etwa die Bevorzugung von Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen, die sich aktiv für Gleichstellung einsetzen. Auch die längst fällige Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien ist ein wichtiger Schritt. Nur ein umfassendes An-tidiskriminierungsgesetz, wie die rot-grüne Regierung es im vergangenen Jahr vorgelegt hatte, würde auch das gesellschaftliche Bewusstsein für die vielfältigen Diskriminierungsformen aufgrund des Geschlechts schärfen.
Die deutsche Frauenerwerbstätigenquote liegt mit 59% weiterhin knapp unter der europäischen Zielmarke von 60%. Der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit ist allerdings in erster Linie auf eine Ausweitung häufig nicht existenzsichernder Teilzeit- und geringfügiger Beschäftigung zurückzuführen. Das Arbeitsvolumen von Frauen ist bei steigender Erwerbstätigenquote insgesamt gesunken.
Frauen stellen 85% der Teilzeitbeschäftigten. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Sie betrifft beide Eltern – Männer und Frauen – geht jedoch meist zu Lasten der Frauen. So ist der Väteranteil an der Elternzeit auf knapp 5% gestiegen – aber zu 95% unterbrechen eben Mütter ihre Erwerbstätigkeit und riskieren damit berufliche Einschränkungen. Insbesondere in Westdeutschland hat sich bei Familien mit kleinen Kindern ein „1,5-Stellen-Modell“ etabliert: der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter auf einer (halben) Teilzeit-Stelle. Damit werden traditio-nelle Geschlechterrollen zementiert, der Mann als „Ernährer“, die Frau als „Zuverdie-nerin“. Dies ist jedoch oft den mangelnden Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschul-det und keine eigene Entscheidung. Viele Mütter würden gerne mehr arbeiten, viele Väter gerne weniger.
Erforderlich sind daher flexible, auch die Interessen der Beschäftigten berück-sichtigende, Instrumente der Arbeitszeitgestaltung wie Arbeitszeitkonten, Fami-lienteilzeit oder Job-Sharing. Ebenso würde das Modell der „Lebensphasenteil-zeit“ für maximal fünf Jahre die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern und eine flexible Anpassung des Arbeitsvolumens an die verschiedenen Lebensphasen erleichtern. So würde es den Menschen ermöglicht, sich neben dem Beruf auch der Familie oder Weiterbildungsmaßnahmen zu widmen. We-sentliche Schritte hat Rot-Grün 2001 mit der Modernisierung des Teilzeit- und Befristungsgesetz und dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während der Elternzeit eingeleitet. Eine sinnvolle Ergänzung ist ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle. Auch Vätern sollen deutliche Anreize gegeben werden, solche Teilzeitphasen zugunsten der Familie zu nutzen.
Eine verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt würde auch eine erhöhte Nachfrage gerade im Dienstleistungsbereich nach sich ziehen. Im eu-ropäischen Vergleich wird davon ausgegangen, dass pro 100 zusätzlichen er-werbstätigen Frauen 10 neue Vollzeitstellen im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen entstehen.
Die sozialen Sicherungssysteme müssen bei ihrer Reform weiterhin darauf ausgerichtet werden, dass auch Menschen mit unterbrochenen Erwerbsverläu-fen eigenständig sozial abgesichert sind. Bisher sind Sozialversicherungsan-sprüche in sehr hohem Maße abhängig von dauerhafter, lückenloser Erwerbstä-tigkeit. Zu Verbesserungen wird die Rentenreform aus dem Jahr 2001 führen, die Erziehungszeiten bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres des jüngsten Kindes berücksichtigt. Dies wird vor allem den Frauen zu Gute kommen. Prob-lematisch bleibt, dass die Rente fest an Höhe und Dauer der Erwerbstätigkeit gekoppelt ist. So sind die eigenständigen Rentenansprüche von westdeutschen Frauen nur knapp halb so hoch wie die der Männer.
Der Anteil der Unternehmerinnen ist in Deutschland gering. Nur 6% der er-werbstätigen Frauen sind selbständig, während 13% aller männlichen Erwerbs-tätigen Unternehmer sind. Die Gründe für diese geringe Rate sind vielschichtig. So treffen Frauen bei Kreditverhandlungen mit Banken weiterhin auf Hindernisse. Das Bild des Unternehmers ist immer noch männlich geprägt, viele junge Frauen sehen sich oft nicht als Unternehmerinnen. Andererseits stehen nach Erhebungen des Instituts für Mittelstandsforschung in den nächsten fünf Jahren rund 354 000 Familienbetriebe zur Übergabe an, viele sind mangels Nachfolgerin oder Nachfolger in ihrer Existenz gefährdet. Der niedrige Anteil von Unternehmerinnen in Deutschland ist auch ein Hindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Auch die Steuerklassen III und V sind Hindernisse bei der Erwerbstätigkeit von Ehefrauen. Das Ehegattensplitting subventioniert alle Ehen, unabhängig davon, ob Kinder da sind oder nicht. Eine Umwandlung des Ehegattensplittings in eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag in Höhe von 10.000 Eu-ro würde zu Einsparungen in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro führen, die für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingesetzt werden könnten.
Frauen haben bei der formalen Schulbildung die Männer inzwischen überholt Die Wahl der Ausbildung verläuft jedoch häufig entsprechend den traditionellen Geschlechterrollen. In der beruflichen Bildung wählen junge Frauen überwie-gend Ausbildungen im sozialen und im Dienstleistungsbereich, mit eher niedrigem Einkommen und geringen Aufstiegschancen. Männer entscheiden sich dagegen überwiegend für technische und Handwerksberufe, die Bandbreite der Ausbildungen ist bei ihnen deutlich höher. Hier sind vermehrte Anstrengen erforderlich, um die Möglichkeiten für Mädchen zu erweitern. Gleichzeitig beschränken Geschlechterklischees auch Jungen in ihrer Berufswahl, die öffentliche Diskussion um Männer in Erzieherberufen spiegelt die individuellen und gesellschaftlichen Nachteile wider. Bei den HochschulabsolventInnen sind Frauen und Männer inzwischen gleich stark vertreten. Die Quote der Frauen, die ein Hochschulstudium beginnen, geht derzeit aber wieder leicht zurück. Es bestehen allerdings stabile geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fä-cherwahl.
Die geringe Beteiligung von Frauen mit Behinderungen am Erwerbsleben führt bei ihnen zu einer höheren Armutsquote. Erwerbslosigkeit schränkt die Mög-lichkeiten von Frauen mit Behinderungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe zusätzlich ein. So hat der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregie-rung gezeigt, dass behinderte Frauen - bedingt durch ihre geringere Erwerbsbe-teiligung - deutliche niedrigere persönliche Einkommen erzielen als behinderte Männer.
Migrantinnen weisen höhere Bildungserfolge auf als Migranten. Dennoch wählen auch sie oftmals wenig zukunftsträchtige Ausbildungsberufe. Zwar ist die Erwerbs-quote von Migrantinnen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Aber fast die Hälfte aller arbeitenden Migrantinnen sind lediglich teilzeitbeschäftigt. Rund 60% aller ge-ringfügig beschäftigten Migranten sind Frauen. Für sie stellt eine geringfügige Be-schäftigung weitaus häufiger, als bei Männern, die einzige Erwerbsquelle dar.
Viel hängt davon ab, dass wir die vielfältigen strukturellen Hindernisse beseitigen, die Väter und Mütter in Deutschland davon abhalten, eine gleichberechtigte Rolle im Er-werbsleben zu spielen. Die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und die verstärkte Übernahme von Familienarbeit durch Männer ist dabei nicht nur eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit. Sondern auch eine Zukunftsfrage für Wohlstand und Beschäftigung. Deutschland ist auf den „Rohstoff Humankapital“ angewiesen und kann es sich nicht leisten, weiterhin so viel davon zu verschwenden. Es ist unsinnig, Frauen erst hoch zu qualifizieren, ihnen später aber nicht die Chance zu geben, die-se Qualifikationen auch zu nutzen Unsere wichtigste Ressource ist das geistige Kapi-tal. Die systematische Ausgrenzung von Begabungsreserven ist ein Innovationsproblem, das dringend gelöst werden muss.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. ein Programm zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Ar-beitsmarkt aufzulegen, dass insbesondere gesetzliche Regelungen zur Umsetzung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Pri-vatwirtschaft beinhaltet. Dabei sollen Frauen vor allem bei Beförderun-gen und Qualifikationsmaßnahmen unterstützt und Benachteiligungen durch den Arbeitgeber sanktioniert werden,
2. bei der Reform des Vergaberechts dafür zu sorgen, dass bei der Verga-be von öffentlichen Aufträgen Unternehmen bevorzugt werden, die sich für Gleichstellung in ihren Betrieben einsetzen,
3. zügig die EU-Gleichbehandlungs-Richtlinie (Änderungsrichtlinie 2002/73/EG zur Richtlinie 76/207/EWG) im Rahmen eines Antidiskrimi-nierungsgesetzes umzusetzen,
4. durch eine Anpassung des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst im Wirkungsbereich des Bundes die noch bestehenden geschlechtsspezifi-schen Entgeltunterschiede abzubauen.
5. auf die Tarifparteien einzuwirken, mehr auf die Einrichtung und Nutzung von Arbeitszeitkonten zu setzen und dabei die Bedürfnisse der Arbeit-nehmerInnen stärker zu berücksichtigen,
6. Vorschläge zur Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit und zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie Lebensphasenteilzeit und das Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle umzusetzen und so Väter und Müt-ter zu unterstützen,
7. klare Regelungen zur Förderung von Nicht-LeistungsbezieherInnen in das SGB II aufzunehmen, um erwerbslosen Frauen die Möglichkeit zur Rückkehr ins Erwerbsleben zu geben, die aufgrund von Partnereinkom-men keinen Anspruch auf ALG II haben,
8. die weitere Ausbreitung prekärer Beschäftigungsformen zu verhindern und die bisherige Regelung von Mini- und Midijobs in einem einheitlichen Konzept zur Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge bei kleinen Ein-kommen aufgehen zu lassen (Progressiv-Modell),
9. die sozialen Sicherungssysteme so zu reformieren, dass auch Menschen mit unsteten Erwerbsverläufen sozial abgesichert sind,
10. das Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag umzuwandeln,
11. im Rahmen einer Gründungsoffensive die Existenzgründungen sowie Unternehmensnachfolgen durch Frauen zu unterstützen,
12. auf die Bundesagentur für Arbeit dahingehend Einfluss zu nehmen, dass die in ihrer Berufsberatungspraxis immer noch stattfindende Einordnung in „Frauenberufe“ und „Männerberufe“ überwunden wird,
13. das Informatikjahr 2006 zu nutzen, insbesondere junge Frauen für die vielfältigen beruflichen Möglichkeiten in diesem Bereich zu gewinnen. Darüber hinaus sollen Informationskampagnen wie der Girls´ Day dazu beitragen, die geschlechtsspezifischen Ausbildungsentscheidungen ab-zubauen,
14. die Aktivitäten bei der Herstellung gleicher Chancen im Arbeitsleben für behinderte Frauen zu intensivieren und Kammern und Berufsverbände dazu zu ermutigen, die Beschäftigung eines angemessenen Anteils schwerbehinderter Frauen in ihre Integrationsvereinbarungen gemäß § 83 SGB IX aufzunehmen,
15. für Migrantinnen Verbesserungen beim Zugang zum Ausbildungs-, Bil-dungs- und Beschäftigungssektor durchzuführen. Dazu muss das von Rot-Grün beschlossene Qualifizierungsnetzwerk „Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ ausgeweitet und stärker auf die gezielte Förderung junger Frauen ausgerichtet werden.
Berlin, den 14.2.2006
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