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Zwangsverheiratung

Irmingard Schewe-Gerigk

 

15. Februar 2008

Zwangsverheiratung

 

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für das Bündnis 90/Die Grünen.

 

(Unruhe)

 

Ich denke, dass sie erst anfängt, wenn die Gespräche zum vorigen Tagesordnungspunkt nach draußen verlegt worden sind.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

 

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

 

Es scheint zu klappen. Es sind ja auch fast nur noch Frauen hier.

 

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! So nicht!)

 

- Ich habe gesagt: fast.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Ja. Auch das ist ein wichtiges Thema.

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergangenen Woche hat sich der Todestag von Hatun Sürücü zum dritten Mal gejährt. Sie brach aus einer erzwungenen Ehe aus und wollte ihr eigenes Leben leben, frei von Zwang und Gewalt. Ihre Familie erachtete dies als Verbrechen und bestrafte es mit dem Tod. Hatun Sürücü ist zu einem Symbol geworden: zu einem Symbol für Migrantinnen, die von ihrer Familie daran gehindert werden, selbst über sich und ihren Körper zu bestimmen, und zwar aufgrund autoritärer und patriarchaler Vorstellungen, die nicht nur den Frauen, sondern auch den jungen Männern massiv schaden. Darüber müssen wir eine Debatte führen, allerdings nicht, indem man die Opfer benutzt, um eine Angstkampagne gegen Migranten zu entfachen und damit Fremdenhass zu schüren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was?)

 

Dass Sie uns Grünen ständig vorwerfen, wir hätten aufgrund unserer Multikulti-Ideologie die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen an Frauen verschlossen,

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Oh ja! Allerdings!)

 

ist eine Frechheit.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist nichts als die Wahrheit! Das kann man täglich bestaunen!)

 

Wenn Sie sich unsere Initiativen der letzten Jahre ansehen,

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das habe ich getan!)

 

stellen Sie fest: Wir haben dafür gesorgt, dass Zwangsverheiratung seit 2005 explizit als Straftatbestand ausgewiesen ist und dass ausländische Ehefrauen im Falle von Gewalt ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten. Wir haben Ihnen in unseren Anträgen außerdem vor Augen geführt, was noch zu tun ist.

 

Sie wissen ganz genau, wie die Opfer von Zwangsverheiratung am besten zu schützen wären. Sie kennen die Vorschläge, die in der Sachverständigenanhörung im Ausschuss vorgetragen wurden. Alle Sachverständigen waren sich darin einig, dass es zum Schutz der in das Herkunftsland der Eltern verschleppten und zwangsverheirateten Frauen am wichtigsten ist, ihnen das Recht zur Rückkehr nach Deutschland einzuräumen. Das wissen Sie ganz genau.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sibylle Laurischk [FDP] - Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Das gibt es ja!)

 

Sie haben auch gehört, dass für die nach Deutschland zwangsverheirateten Migrantinnen - die ja boshaft "Importbräute" genannt werden - ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der beste Schutz ist. Denn erst dann können die anderen Maßnahmen greifen.

 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das gibt es doch!)

 

Was machen Sie? Außer Verschlechterungen auf dem Rücken der Frauen machen Sie nichts. Da können Sie sich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht wegducken, auch wenn Ihnen das peinlich ist. Seit 2005 liegt unser Antrag auf dem Tisch. Sie haben uns immer wieder damit vertröstet, es gebe bald einen Koalitionsvorschlag. Nun haben sich Union und SPD zwei Jahre lang darüber gestritten. Eine hat sich dabei herausgehalten - sie sitzt wieder nicht auf der Regierungsbank -, nämlich Frau Böhmer, die Integrationsbeauftragte.

 

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die fehlt immer!)

 

Frau Böhmer hat ihr Pokerface aufgesetzt und gesagt, das müsse man politisch entscheiden.

 

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist jetzt ein bisschen blöd, Frau Kollegin!)

 

Dabei wäre es ihre Pflicht gewesen, für die Rechte der Migrantinnen zu kämpfen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE])

 

Geschwiegen hat sie auch, als Roland Koch in Hessen diesen unsäglichen Wahlkampf geführt hat. Da war von ihr nichts zu hören.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dieser Wahlkampf war wirklich ein Skandal!)

 

Verteidigt hat sie hingegen die Verschärfung beim Familiennachzug, die die Große Koalition im Rahmen der Reform des Aufenthaltsrechts beschlossen hat. Sie hat schon eine seltsame Auffassung von der Rolle einer Integrationsbeauftragten.

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das zeigt gerade, dass Sie es nicht begriffen haben! Damit schützt sie die Frauen!)

 

- Dazu werde ich Ihnen gleich etwas sagen, Herr Grindel.

 

Voraussetzung für die Einreise ausländischer Ehegatten nach Deutschland ist seit dem Sommer das Bestehen eines Sprachtests für Deutsch.

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau! Zu Recht!)

 

Diese Regelung gilt aber nicht für alle, sondern nur für Ehegatten aus bestimmten Ländern.

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht um den Integrationsbedarf!)

 

Und dann wundern Sie sich darüber, dass dieses Gesetz in der Türkei als Antitürkengesetz angesehen wird! Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wo eine Frau in Ostanatolien die deutsche Sprache lernen soll?

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja! - Michaela Noll [CDU/CSU]: Das werden wir Ihnen gleich erklären!)

 

Sie stellen jede Türkin vom Lande mit geringer Bildung unter den Generalverdacht der Zwangsverheiratung. Was ist mit dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie, wenn Ehepartner und Kinder wegen fehlender Deutschkenntnisse jahrelang getrennt leben müssen?

 

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht einmal Schwangere dürfen einreisen!)

 

Das hätte ich einer christlich orientierten Partei nicht zugetraut.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Das ist keine Maßnahme zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, das ist eine Maßnahme zur Verhinderung von Zuwanderung.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE])

 

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

 

Frau Schewe-Gerigk, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel zulassen?

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Bitte schön, gerne.

 

Reinhard Grindel(CDU/CSU):

 

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, da viele Bürger, die uns zuschauen, die aktuelle Diskussion nicht kennen werden, möchte ich Sie bitten, ihnen zu erklären, wie Frauen, die von Zwangsverheiratung betroffen sind, die zahlreichen Beratungsangebote - die es zu Recht gibt - annehmen können sollen, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, die Polizei anzurufen, sich Hilfe zu holen, sich zurechtzufinden.

 

Erklären Sie uns, warum es nicht sinnvoll sein soll, dass diese Frauen vor der Übersiedlung nach Deutschland Deutsch lernen! So können sie sich schließlich gegen Zwangsverheiratung wehren.

 

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!)

 

Erkennen Sie also an, dass das sehr wohl eine wichtige Maßnahme ist, um Zwangsverheiratungen zu bekämpfen?

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Nein, Herr Grindel, ich erkenne das nicht an. Das reicht nicht aus, um zu begründen, dass verheiratete Frauen - möglicherweise mit Kindern -, die zu ihrem Ehemann nach Deutschland ziehen wollen, schon zum Zeitpunkt der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen müssen. Ich bin dafür, dass die Migrantinnen nach Deutschland kommen können; wenn sie hier sind, können sie sofort Deutschkurse und Integrationskurse belegen.

 

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! In Deutschland! - Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was ist, wenn sie nicht hingehen? - Gegenruf des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man doch verpflichtend machen!)

 

Das ist der richtige Weg. Aber dafür stehen in den Regionen, in denen Sie zuständig sind, keine Mittel zur Verfügung.

 

Natürlich müssen die Frauen die deutsche Sprache lernen, und das ist die beste Möglichkeit der Integration, gar keine Frage. Natürlich ist das eine Voraussetzung dafür, die Beratungsangebote zu nutzen. Aber warum sollen sie diesen Sprachtest vorher machen?

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Damit sie sich wehren können! - Gegenruf des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können sie ja nicht!)

 

Sie wissen, dass solche Kurse in der Türkei nicht angeboten werden.

 

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Natürlich werden sie das!)

 

Sie befinden sich mit Ihrer Position ja noch weit hinter der Position des Innenministers, die ich Ihnen gleich vortragen will.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Die Regelungen verstoßen nach Ansicht vieler Richter und Richterinnen klar gegen unsere Verfassung, und erste Klagen liegen bereits vor. Offensichtlich - damit komme ich zum Bundesinnenminister, Herr Grindel - musste der Bundesinnenminister erst in die Türkei reisen, um festzustellen, welchen Murks er mit diesem Gesetz gemacht hat. Herr Schäuble hat mittlerweile zugesagt, zu überprüfen, ob der Sprachnachweis nicht auch in Deutschland erbracht werden kann.

 

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

 

Damit befindet sich der Innenminister schon ein Stückchen näher an der Position der Grünenfraktion als Sie, Herr Grindel.

 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Sibylle Laurischk [FDP]: Er bewegt sich bereits! - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union ist lernfähig!)

 

Der Innenminister sagt aber: Wer innerhalb eines halben Jahres an dieser Prüfung scheitert, der muss wieder ausreisen. - Man müsste wahrscheinlich "die" sagen. Das finde ich besonders perfide. Das ist alles andere als eine gute Integrationspolitik.

 

Ich komme zum Schluss. Mich wundert es darum auch gar nicht, dass die CDU die für die nächste Woche vereinbarte Integrationsdebatte so kurz vor der Hamburgwahl abgesagt hat. Sie haben in Hessen gemerkt, dass die Menschen auf ausländerfeindliche Parolen nicht hereinfallen, und wollen alles tun, um zu vermeiden, dass so etwas auch im weltoffenen Hamburg ankommt.

 

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten Angst, dass Frau Böhmer redet!)

 

Ich sage Ihnen: Geben Sie den Menschen, die auf Dauer bei uns bleiben wollen, endlich die Perspektive, deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger zu werden.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sibylle Laurischk [FDP] und der Abg. Sevim Daðdelen [DIE LINKE])



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