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Rede vom 17. November zur Erhöhung des Rentenbeitrags

Rede vom 17. November zur Erhöhung des Rentenbeitrags

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Windschatten des wirtschaftlichen Aufschwungs und weitgehend unbemerkt, Herr Weiß, greift die große Koalition in die Tasche der Versicherten.

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)

Sie will die Rentenversicherungsbeiträge im kommenden Jahr von 19,5 auf 19,9 Prozentpunkte erhöhen und spült damit 3,4 Milliarden Euro der Versicherten in die Rentenkassen, und zwar in die Rentenkassen, die sie selbst zuvor geplündert hat. So wurden die Beitragszahlungen des Bundes für Langzeitarbeitslose halbiert. Dadurch fehlen der Rentenkasse jetzt jährlich 2 Milliarden Euro.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sie haben uns ja sehr solide Rentenkassen hinterlassen!)

Die Mentalität des Staates, den Bundeshaushalt zulasten der Versicherten zu entlasten, lehnen wir ausdrücklich ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entschieden!)

Damit stehen wir nicht allein. Der Sozialbeirat hat vor kurzem die Erhöhung der Sozialbeiträge mit dem ausdrücklichen Ziel, den Bundeshaushalt zu entlasten, als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert. Der wirtschaftliche Aufschwung lässt ohne ein Zutun der Regierung – ich erinnere an die Rürup-Kommission – Mehreinnahmen von 19,4 Milliarden Euro in den Staatshaushalt fließen. Davon stehen dem Bund knapp 9 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch die Rentenkassen profitieren von diesen Mehreinnahmen.

Umso irritierender ist es, dass das Vorhaben der Regierung, die Beiträge zu erhöhen, durchgesetzt werden soll. Denn in der Vorlage zur Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge wird ohne Scham zugegeben – ich zitiere –, dass ein Beitragssatz von 19,7 Prozent im kommenden Jahr eigentlich ausreiche, um die gesetzlichen Verpflichtungen einzuhalten.

(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

In der Begründung finden wir die meines Erachtens dreiste Aussage: Durch die Erhöhung des Beitragssatzes im kommenden Jahr würden die Beitragszahler und der Bundeshaushalt in den Jahren 2008 bis 2010 entlastet,

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Und zwar mehr entlastet, Frau Schewe-Gerigk!)

indem „die Beitragssatzanhebung im Jahre 2007 überkompensiert“ werde.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Mit anderen Worten: Der Minister sagt: Ich meine es doch nur gut mit euch Versicherten. Ich nehme euch jetzt mehr weg,

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein! Nachhaltigkeit)

damit ich euch später nicht noch einmal etwas wegnehmen muss. Dann verschone ich euch. – Das ist schon eine besondere Logik, die meine Fraktion so nicht teilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anton Schaaf [SPD]: Jetzt habt ihr euch auch von der Nachhaltigkeit verabschiedet!)

Wer glaubt denn eigentlich an einen Zufall, wenn gerade gestern der Finanzminister erneut ankündigt, er wolle den Bundeszuschuss langfristig auf dem jetzigen Niveau einfrieren, und das, obwohl der Bundeszuschuss nach eigenen Berechnungen der Regierung in den nächsten Jahren um weitere 2 Milliarden Euro steigen müsste. Dazu sage ich: Nachtigall, ich hör dir trapsen! Der Bundeszuschuss wird nicht mehr erhöht. Stattdessen werden dann Beitragsatzerhöhungen herangezogen.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Natürlich! Dieser Automatismus steht doch im Gesetz!)

Also kassieren Sie hier schon wieder 2 Milliarden Euro ein.

Das macht deutlich: Die große Koalition entlastet den Bundeshaushalt auf Kosten der Beitragszahler. Das ist bereits in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt worden; dies wollen Sie offensichtlich fortsetzen. Die Halbierung der Rentenbeiträge für die Langzeitarbeitslosen – das habe ich vorhin schon gesagt – führt dazu, dass der Rentenkasse 2 Milliarden Euro fehlen. Die Angleichung der Beitragssätze in der Alterssicherung der Landwirte hat eine ähnliche Wirkung. Hier entlastet sich der Bund um 14 Millionen Euro. Die CDU/CSU hat einige weitere Kürzungsvorschläge in petto, wie man weiß. Da passt es gut, sich schon einmal ein gutes Polster anzulegen, ähnlich der Aktion Eichhörnchen, passend zu dieser Jahreszeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Weg ist für Sie offenbar der bequemste. Dabei führt die Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr zu Steuermehreinnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro. Herr Weiß, vorhin haben Sie gesagt, die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes führe zu einer Entlastung von 17 Milliarden Euro und die Steuererhöhung zu Mehreinnahmen von 20 Milliarden Euro. Die Differenz lässt sich leicht ausrechnen. Sie aber feiern es als generöse Geste, einen Teil dieser Differenz für die Senkung der Arbeitslosenbeiträge zu verwenden. Stellt man allerdings dieser Senkung die Erhöhung der Krankenversicherungs- und der Rentenversicherungsbeiträge gegenüber, kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 20 000 Euro ganze 40 Euro weniger an Beiträgen jährlich zahlt.

 

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Immerhin! Sie haben die Beiträge erhöht!)

Rechnet man die Mehrwertsteuererhöhung hinzu, kommt man zu dem Ergebnis, dass das verfügbare Einkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sinkt. Sie sollten sich einmal die diesbezügliche Untersuchung des DIW anschauen.

 

Das sind ungefähr 0,5 Prozent, die die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten an verfügbarem Einkommen jetzt weniger haben. Sie verkaufen das als große Wohltat. Es ist keine Wohltat. Herr Müntefering ist leider nicht da. Wenn morgen Sankt-Martins-Tag ist, dann nimmt Ihnen keiner diese Rolle ab. Wir lehnen das ab.

Herr Weiß, vorhin sagten Sie, die Opposition gehe im Zickzackkurs. Herr Kollege Weiß, hier müssen Sie irgendetwas verwechselt haben. Der Zickzackkurs ist Ihnen von den fünf Wirtschaftsweisen bescheinigt worden. Sie sollten einmal überlegen, ob Sie die vielleicht absetzen, weil die Ihnen immer so unangenehme Nachrichten bringen. Darüber haben Sie ja schon nachgedacht.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



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