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Betriebsrentengesetz

19. Oktober 2006

 

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

 

Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorgeschlagene Änderung des Betriebsrentengesetzes findet unsere volle Zustimmung.

 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

 

Durch eine bessere Insolvenzsicherung der unverfallbaren Anwartschaften wird die betriebliche Alterssicherung der Beschäftigten zukunftssicherer. Immerhin geht es dabei um 8,5 Millionen Menschen.

 

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Damit sollten Sie Ihre Rede beenden! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es kann nicht mehr besser werden!)

 

- Warten Sie ab!

 

Die betriebliche und private Vorsorge wird - darin sind wir uns einig - zunehmend wichtiger.

 

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn die gesetzliche Rente ruiniert ist!)

 

Wir hätten uns allerdings in diesem Zusammenhang gewünscht, dass auch die Möglichkeit, Betriebsrentenansprüche beim Wechsel des Arbeitsplatzes mitzunehmen, verbessert worden wäre.

 

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

 

Herr Weiß, Sie führen immer wieder an, dass Sie so viel Gutes tun. An dieser Stelle hätten Sie eine gute Chance dazu gehabt, aber die große Koalition ist eben ein bisschen träge.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Wir unterstützen auch die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Lohnunterlagen aus früheren DDR-Betrieben bis zum Jahre 2011, damit 1,3 Millionen Menschen, deren Renten noch nicht geklärt sind, keine Kürzung aufgrund fehlender Nachweise erfahren müssen, wie es bei einer Glaubhaftmachung der Fall wäre.

 

Herr Kolb, ich finde es geradezu zynisch, dass Sie sagen, einige stellten sich mit der Glaubhaftmachung besser. Wenn Sie die kleine Rente einer Ostrentnerin hätten, die noch um 16 Prozent gekürzt würde, dann würden Sie anders reden.

 

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben dem Kollegen Schneider gar nicht zugehört, scheint mir!)

 

So weit, so gut. Bis zu diesem Punkt haben Sie unsere Zustimmung. Nun komme ich zum kritikwürdigen Teil Ihres Vorhabens.

 

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben so gut angefangen!)

 

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat die große Koalition Änderungen am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im Ausschuss einfach angehängt. Damit haben Union und SPD verhindert, dass sich der Bundestag ordnungsgemäß in einer ersten Beratung mit den Korrekturen am AGG beschäftigen kann. Das zeigt, wie peinlich Ihnen der ganze Vorgang ist, und zwar zu Recht. Mit hektischen Last-Minute-Änderungen am vormals rot-grünen Entwurf haben Sie schon im Sommer zahlreiche Unstimmigkeiten geschaffen. Seitdem ist im AGG der Wurm drin. Aber statt eine Wurmkur zu machen, vergrößern Sie heute mit den drei Änderungen noch die Löcher.

 

Ich nenne ein Beispiel aus dem Zivilrecht. Seit jeher stehen in unserem Grundgesetz Religion und Weltanschauung gleichberechtigt nebeneinander. Völlig willkürlich beharrt Schwarz-Rot darauf, im Zivilrecht die Weltanschauung aus dem Diskriminierungsschutz auszugrenzen. Das ist eine Diskriminierung von Freidenkern, Atheisten und Anthroposophen. Das gilt selbstverständlich jeweils auch für die weibliche Form.

 

Das nächste Beispiel betrifft die Verbändebeteiligung. Ohne jeden sachlichen Grund beschneiden Sie nun auch die Beteiligungsmöglichkeiten von Verbänden in Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren. Diese Beschränkung ist mit den EU-Richtlinien unvereinbar. Sie fordern nämlich starke Verfahrensrechte.

 

Das dritte Beispiel ist das Arbeitsrecht. Alle Fachleute sagen, den Bereich Kündigung aus dem AGG he-rauszunehmen, verstoße gegen die EU-Richtlinien zu Beschäftigung und Beruf. Aber was machen Sie? Sie nehmen Ihren richtlinienwidrigen Eingriff nicht etwa zurück, sondern werfen auch noch die letzten verbliebenen Altersregelungen hinaus.

 

Staatssekretär Andres hat im Ausschuss gesagt, das seien alles nur redaktionelle Änderungen. Aber ich frage Sie, Herr Thönnes: Halten Sie es gerade vor dem Hintergrund der geplanten Rente mit 67 für gerechtfertigt, ältere Beschäftigte beim Kündigungsschutz schlechter zu stellen? Die Anhörung im Ausschuss hat klipp und klar gezeigt - übrigens waren keine Sachverständigen zu diesem Thema eingeladen; auch das macht etwas deutlich -, dass Sie sehenden Auges richtlinienwidriges Recht beschließen. Sie schaffen damit - bewusst oder unbewusst - rechtliche Grauzonen.

 

Das Antidiskriminierungsgesetz als solches ist nicht das Problem. Dabei handelt es sich um ein gutes Gesetz. Problematisch sind vielmehr Ihre Verschlimmbesserungen. Sie schaffen mit den beabsichtigten Änderungen ein Beschäftigungsprogramm für die Gerichte.

 

Ich denke, der Koalitionsfrieden hat für Sie Vorrang vor der Rechtssicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Was Sie hier machen, ist kein Nachbessern, sondern ein Nachmurksen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Im Ausschuss haben wir getrennt über die einzelnen Punkte abgestimmt, sodass wir die AGG-Regelungen ablehnen konnten. Allen anderen Punkten haben wir zugestimmt. Heute wird über den gesamten Entwurf abgestimmt. Daher enthalten wir uns der Stimme.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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