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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Irmingard Schewe-Gerigk

Patientenverfügungen neu regeln – Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nicht einwilligungsfähigen Patienten stärken

Über die Notwendigkeit einer rechtlichen Absicherung von Patientenverfügungen haben wir bereits im letzten Jahr anlässlich des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ diskutiert. In der damaligen Debatte wurde klar, dass es in jeder Fraktion mindestens zwei unterschiedliche Auffassungen bezüglich der rechtlichen Ausgestaltung gibt, einige sich sogar ganz gegen eine rechtliche Normierung aussprechen. Wenn ich also heute meine Auffassung vortrage, so spreche ich zwar für einen großen Teil meiner Fraktion, nicht aber für alle.

Ich bin der Meinung, dass es trotz des BGH-Urteils von 2003, wonach Patientenverfügungen eine Verbindlichkeit besitzen, einen rechtlichen Regelungsbedarf gibt, weil es zum einen eine große Unwissenheit und Unsicherheit unter den Ärzten über die derzeitige Rechtslage gibt. So glaubt nach einer Umfrage die Hälfte der befragten Ärzte, es sei aktive Sterbehilfe, wenn sie aufgrund des geäußerten Willens des Patienten oder der Patientin die künstliche Beatmung einstellen.

Ein weiterer Grund: Dieses sensible Gebiet sollte nicht allein einer Klärung durch die Rechtsprechung vorbehalten bleiben, zumal sie in den letzten Jahren keineswegs einheitlich war. Denn: Auf der Strecke bleibt dabei das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen über den eigenen Körper. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist jedoch der Kern der Menschenwürde. Es ist das höchste unverletzliche und unveräußerliche Menschenrecht im Grundrechtskatalog und findet seine Grenze ausschließlich in den Rechten anderer.

Es ist die Aufgabe des Staates, die Selbstbestimmung jedes Bürgers und jeder Bürgerin vor den Eingriffen anderer zu schützen. Ein staatlicher Paternalismus, der den Menschen vor sich selbst schützen will, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Einzelne zur Selbstbestimmung nicht in der Lage ist. Das heißt aber auch, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper höher steht als die – sicherlich oft gut gemeinte – Schutzpflicht anderer für sein Leben. Darum hat auch niemand das Recht, gegen den Willen eines Menschen eine Behandlung durchzusetzen.

Dabei ist klar: Durch die moderne Medizintechnik sind der Zeitpunkt und die Art des Sterbens zunehmend von medizinischen Entscheidungen bestimmt. Häufig können Menschen nur sterben, wenn auf Maßnahmen verzichtet, wenn eine Behandlung abgebrochen wird, wie es in 50 Prozent aller Todesfälle passiert. Durch diese Entscheidung entstehen viele ethische Probleme. Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind eine wichtige Hilfe für alle Beteiligten, die Entscheidung zu treffen, die dem Willen der Patientin oder des Patienten entsprechen. So weit herrschte schon vor einem Jahr Einigkeit.

Alle einwilligungsfähigen Menschen müssen also eine Patientenverfügung abschließen können. Natürlich kann sie nur dann umgesetzt werden, wenn die beschriebene Situation mit der konkreten übereinstimmt, wenn es keine Anzeichen einer Willensänderung gibt, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie unter äußerem Druck entstanden ist und wenn keine aktive Sterbehilfe verlangt wird.

Von einigen Kolleginnen und Kolleginnen wird nun gefordert, dass die Bindungswirkung einer solchen Verfügung begrenzt werden müsse. Sie plädieren dafür, dass die Patientenverfügung nur im Falle eines irreversibel tödlichen Verlaufs des Grundleidens Gültigkeit habe. Die Begrenzung der Reichweite auf Personen mit einer irreversibel tödlichen Krankheit lässt sich jedoch meines Erachtens nicht rechtfertigen. Sie wäre medizinisch problematisch, weil es diesen medizinischen Begriff nicht gibt. Man müsste ansonsten eine Lebenserwartung festlegen. Diese Begrenzung wäre aber auch ethisch unbegründet und verfassungsrechtlich unhaltbar. Denn: Wenn ein aktuell einwilligungsfähiger Mensch lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn er im Voraus für eine bestimmte Situation geäußert wurde, in der keine Äußerungsfähigkeit mehr gegeben ist. Würde der Wille nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens geachtet, bedeutete das im Umkehrschluss eine Zwangsbehandlung. Und die ist verboten.

Wir werden in den nächsten Monaten diese Debatte intensiv zu führen haben. Der Antrag der FDP bietet hierzu eine gute Grundlage.

 



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