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Soziales Entschädigungsrecht

7. April 2006

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts umgesetzt. Ich möchte auf zwei Punkte besonders eingehen.

 

Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dem Gesetzgeber aufgetragen, nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern im Opferentschädigungsgesetz der Ehe gleichzustellen. Das ist geschehen. Allerdings hätten wir uns gewünscht - da unterstütze ich Herrn Rohde, der das gerade vorgetragen hat -, die Regierung wäre etwas mutiger gewesen und hätte die Versorgungssituation nicht ehelicher Lebensgemeinschaften mit Kindern umfassender geregelt und sich nicht nur auf die ersten drei Lebensjahre bezogen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Zum anderen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf Regelungsbedarf hinsichtlich des Entschädigungsrechtes für Dienstunfälle von Personen, die in den so genannten Sonderversorgungssystemen der DDR waren.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, diesem Personenkreis zusätzlich zur Altersrente auch einen Ausgleich für Unfälle im Dienst zu gewähren. Der Ausgleich von Dienstbeschädigungen kommt damit auch Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit zugute.

 

Für die Opfer der SED-Diktatur ist diese Vorgabe von Karlsruhe wirklich bitter. In der Anhörung wurde überdeutlich, dass die Gerechtigkeitslücke zwischen Täter und Opfer damit weiter vergrößert würde. Für viele Opfer, die in der ehemaligen DDR beruflich eingeschränkt waren und die deshalb heute eine niedrigere Rente bekommen, ist dieses Ergebnis ein Schlag ins Gesicht.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Der Sachverständige Hubertus Knabe berichtete von resignativen Aussprüchen eines Opfers der SED-Diktatur, der das Resümee zog: Widerstand lohnt sich nicht. Das bringt die herbe Schlussfolgerung, die Opferverbände aus den Vorgaben von Karlsruhe ableiten, auf den Punkt.

 

Die Vorkommnisse in Hohenschönhausen und der aggressive Auftritt von 250 ehemaligen Stasimitarbeitern, die die Opfer der SED-Diktatur verhöhnten, sind gerade für die Opfer nur schwer zu ertragen, zumal sich diese Ewiggestrigen der guten Zusammenarbeit mit einigen Kollegen dieses Hauses - da werden Gesine Lötzsch oder Martina Bunge genannt - rühmen.

 

An dieser Stelle möchte ich gerne ausdrücklich der Kollegin Petra Pau zur Vizepräsidentschaft gratulieren. Ich bin froh, dass sie sich sehr eindeutig von solchen Machenschaften distanziert hat.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

 

Dennoch, ein genereller Ausschluss von MfS-Mitarbeitern ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich, ebenso wenig eine pauschale Regelung für einzelne Berufsgruppen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation rechtfertigt für sich allein keinen Leistungsausschluss.

 

Ich bin wirklich sehr froh, dass uns die Sachverständigen in der Anhörung einen Weg aufgezeigt haben, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil korrekt umgesetzt, aber dennoch eine Einzelfallprüfung in das Gesetz aufgenommen werden kann. Es ist uns im Ausschuss gelungen, den Gesetzentwurf so zu formulieren, dass ihm alle Fraktionen - außer den Linken - zustimmen konnten. Nunmehr ist festgelegt, dass Mitarbeiter der Stasi, die nachweislich gegen Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, ganz vom Bezug einer zusätzlichen Dienstbeschädigungsrente ausgeschlossen werden können oder zumindest der Leistungsbezug gemindert werden kann. Voraussetzung ist, dass die Dienstbeschädigung damit in einem inneren Zusammenhang steht. Ich finde, das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

 

Ich frage mich wirklich, Herr Kollege Schneider, wieso es der Linken nicht möglich ist, einen solchen Antrag zu unterstützen.

 

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine sehr gute Frage!)

 

Wir haben Ihnen angeboten, eine getrennte Abstimmung nur zu diesem Punkt zu machen, wenn Sie mit anderen Vorschriften dieses Gesetzes Probleme haben. Sie haben im Ausschuss argumentiert, Sie könnten nicht zustimmen, weil eine Einzelfallprüfung zu bürokratisch und zu teuer sei.

 

(Widerspruch bei der LINKEN - Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Scheinheilig ist das!)

 

- Ja, das haben Sie im Ausschuss gesagt. - Hier haben Sie gerade gesagt, man finde nicht genügend Fälle. Diese Begründung ist bei 800 vorliegenden Fällen, die noch zu regeln sind, geradezu heuchlerisch.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei der Stimmabgabe zu diesem Gesetz haben Sie die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, auf welcher Seite Sie stehen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Zuerst gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Rohde und anschließend gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Lötzsch. Dann, Frau Schewe-Gerigk, können Sie auf beide antworten.

 

Jörg Rohde(FDP):

 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Eine kurze Korrektur: Wir stimmen überein, dass wir bei den Versorgungsansprüchen nicht ehelicher Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtliche Partner berücksichtigen sollten, nicht jedoch bei der Forderung, dass wir Kinder über das dritte Lebensjahr hinaus mit Versorgungsansprüchen ausstatten sollten.

 

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber betrüblich!)

 

Das wollte ich nur kurz richtig stellen, wenn Sie erlauben.

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Frau Kollegin Lötzsch, bitte.

 

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin von den Grünen, mir ist schon erzählt worden, dass Sie im Ausschuss unsachliche Angriffe gegen mich gemacht haben. Ich darf dazu Folgendes erklären.

 

Erstens bin ich mit meiner Fraktion in voller Übereinstimmung, dass das Rentenrecht kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.

 

Zum Zweiten darf ich Ihnen mitteilen, dass auch mein Mann diese Einschätzung teilt. Mein Mann hat aus politischen Gründen drei Jahre seines Lebens in Bautzen, im Gefängnis, verbracht. Daher weiß ich ganz genau, wie das mit der Entschädigung und dem Opferrecht läuft. Die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft - die hat mein Mann erhalten - ist niedriger als die Entschädigung von Opfern eines Justizirrtums. Seit 16 Jahren höre ich: die Opferrente. Ich frage mich, warum es seit 16 Jahren nicht gelungen ist, diese Opferrente einzuführen.

 

Frau Kollegin, ich empfehle Ihnen, mit den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion darüber zu sprechen, wie sie die Arbeit eines Abgeordneten verstehen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich direkt gewählte Abgeordnete. Das bedeutet für mich, dass ich mit allen Bürgern und Bürgerinnen meines Wahlkreises spreche und mich mit ihnen in der Sache kritisch auseinander setze. Solche Diffamierungen, wie Sie sie auch im Ausschuss vorgenommen haben, lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen!

 

Vielen Dank.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Frau Schewe-Gerigk zur Erwiderung.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Zunächst zur Anmerkung des Kollegen Rohde. Es ist schade, dass Sie uns bezüglich der drei Jahre nicht unterstützen. Die Frage bezüglich der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften haben wir bereits in der ersten Lesung gestellt. Inzwischen ist geklärt, dass auch diese mit aufgenommen werden.

 

Jetzt zu dem entscheidenden Vorwurf der Kollegin Lötzsch. Ich habe mir gedacht, dass Sie darauf reagieren würden. Es tut mir Leid. Der Vorsitzende der ISOR e.V. sagt:

 

Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir in Dr. Martina Bunge und Dr. Gesine Lötzsch verlässliche und kompetente Partnerinnen

 

für unsere Ziele haben. Das muss ich hier zitieren dürfen. Ich habe das schriftlich vorliegen.

 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

 

Ich habe zur Kenntnis genommen, was Sie gerade gesagt haben. Vielleicht werden Sie von ISOR instrumentalisiert. Das kann ja sein. Sie haben deutlich gemacht, dass Sie sich von dieser Aussage distanzieren. Dann ist das ja in Ordnung.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



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