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Rente

Irmingard Schewe-Gerigk, Rente

9. März 2006

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass ihr Lebensunterhalt im Alter gesichert ist. Dazu braucht die Rentenversicherung ein stabiles wirtschaftliches Fundament. Das setzt einen hohen Beschäftigungsstand, die Förderung von älteren Beschäftigten und die von Frauen voraus.

 

In den letzten Tagen wurde der Eindruck erweckt, als habe die Rentenpolitik der vergangenen Jahre zur Folge, dass die Rentner und Rentnerinnen einseitig und massiv von der Entwicklung des Wohlstands abgekoppelt worden seien. In der "Bild"-Zeitung ist von einer "Schrumpfrente" die Rede, weil die Voraussagen früherer Rentenberichte nicht eingetroffen sind. Mit diesen Ängsten der Menschen machen Sie, meine Damen und Herren von der Linken, Politik.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ich möchte dies versachlichen. Im Rentenversiche-rungsbericht 1995 wurde aufgrund der damaligen Prognosen für das Jahr 2009 eine monatliche Eckrente von 1 510 Euro vorausgesagt. Zehn Jahre später sind es nur noch 1 180 Euro. Nach den gestrigen Aussagen von Minister Müntefering läge der Beitrag nach der damaligen Prognose heute bei über 26 Prozent. Wissen Sie, Herr Kollege Kolb, wer damals im Wirtschaftsministerium die Voraussagen erstellt hat?

 

(Elke Ferner [SPD]: Nein! Das haben die alles vergessen!)

 

Das war der damalige Parlamentarische Staatssekretär Kolb 1995.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Wie ich sehe, tragen Sie das mit Fassung.

 

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herr Blüm und Herr Kolb sind nicht zu verwechseln! Herr Kolb sieht anders aus! – Klaus Brandner [SPD]: Damals war er Wirtschaftspolitiker! Heute ist er Sozialpolitiker! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wachstumsprognosen haben Sie gemacht!)

 

– Nein, die wirtschaftlichen Voraussagen wurden im Wirtschaftsministerium erstellt.

 

Aber zu Ihrer Entschuldigung ist festzustellen: Damals wurde offensichtlich die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften unterschätzt.

 

(Klaus Brandner [SPD]: Der Mann tut so, als ob er Ahnung hätte!)

 

Seitdem die Gewerkschaft 1999 mit Oskar Lafontaine ihre Speerspitze im Bundestag verloren hat, geht die Lohnentwicklung rapide zurück und wir sind im europäischen Vergleich schon ganz unten angekommen. Das schlägt systembedingt auf die Renten nieder.

 

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Es ist wertvoll, dass Sie das gemerkt haben!)

 

– Wollen Sie mich etwas fragen? Ich verstehe Sie schlecht.

 

Es ist in der Tat ein Problem, wenn die Voraussagen zur Rente immer wieder nach unten korrigiert werden müssen. Das droht auch dem Rentenversicherungsbericht 2005.

 

Umso bemerkenswerter, Herr Minister Müntefering – so viel zur neuen Ehrlichkeit –, ist Ihre Einschätzung bei der Pressekonferenz, die ich auf "Phoenix" verfolgt habe. Sie haben gesagt, die Rentenversicherung stehe jetzt und es müsse in diesem Bereich nicht weiter nachgesteuert werden. Eben haben Sie es anders dargestellt. Aber als ich die Pressekonferenz verfolgt habe, wurde ich an die Popularität Ihres Vor-Vorgängers Norbert Blüm erinnert.

 

Wir wissen, dass die Niveausenkung der Renten vor allem die jüngere Generation betrifft. Sie überschätzt ihre Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung und unterschätzt den Bedarf an ergänzender Vorsorge. Wenn jemand im Jahr 2030 auf 30 Beitragsjahre bei einem durchschnittlichen Verdienst kommen muss, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu bekommen, dann wird klar – ich finde, auch das erfordert die Ehrlichkeit, und ich stelle das als Grüne fest –: Die gesetzliche Rentenversicherung wird in der bestehenden Form den Schutz vor Armut für alle Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zuverlässig gewährleisten können. Das gilt vor allen Dingen für Personen ohne geschlossene Berufsbiografien.

 

Das wird hier immer verschwiegen, aber man muss es den Menschen sagen. Wir Grüne werden uns dafür einsetzen, dass die Sozialversicherungen zu Bürgerversicherungen weiterentwickelt werden. Für die Krankenversicherung haben wir bereits einen Vorschlag gemacht. Inzwischen ist aber eine Debatte darüber entstanden, ob eine Bürgerversicherung auch für die Rente erforderlich sein wird. Die Probleme in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung sind unterschiedlicher Natur. In der Altersvorsorge ist ein solches Vorhaben eine langfristige Angelegenheit, die auch verfassungsrechtliche und fiskalische Probleme aufwirft.

 

Ohne die von Rot-Grün eingeleiteten Reformen läge der Beitragssatz heute schon viel höher.

 

(Zuruf des Abg. Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

 

Bezogen auf einen durchschnittlichen Lohn wäre das für Arbeitgeber wie auch für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen heute eine Mehrbelastung von 750 Euro im Jahr, Herr Lafontaine.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Wollen Sie vielleicht den Menschen auch das einmal sagen?

 

(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Sie haben einseitig nur die Arbeitnehmer belastet! Haben Sie das nicht gemerkt?)

 

– Das stimmt nicht.

 

(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Bei Riester zahlen die Arbeitgeber gar nicht!)

 

Doch die Bundesregierung stellt die Weichen völlig falsch. Die konjunkturelle Entwicklung der vergangenen Jahre hat deutlich gezeigt – in dieser Einschätzung liegen wir wieder nahe beieinander –: Die Finanzierung der sozialen Sicherung durch abhängig Beschäftigte verteuert den Faktor Arbeit und schadet der Beschäftigung.

 

Was machen SPD und CDU/CSU? Sie gehen den einfachen Weg. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung soll 2007 auf 19,9 Prozent steigen. Die Beiträge für Langzeitarbeitslose an die Rentenversicherung sollen sinken. Der Haushalt soll auf Kosten der Beitragszahler entlastet werden. Die Kosten für die Arbeitnehmer werden steigen. Das ist Gift für den Arbeitsmarkt.

 

Die Koalition hofft auf Wachstum. Sie hofft darauf, dass auf diesem Weg Beschäftigung entsteht und der Druck auf die Sozialversicherung abnehmen wird. Dabei ist in den letzten Jahren die Zunahme der Beschäftigung mit einer Abnahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einhergegangen. Dieses grundlegende Problem muss gelöst werden. Aber dem weichen Sie, meine Damen und Herren von der SPD und CDU/CSU, aus.

 

An die Adresse von Oskar Lafontaine gerichtet – ich verspüre gerade eine gewisse Kampfesfreude –: Hören Sie doch mit Ihren volkswirtschaftlichen Vorträgen auf! Machen Sie als Linke konkrete Vorschläge zu politischen Alternativen bei der Rente! Vergessen Sie vor allen Dingen nicht den berühmten Satz von Bill Clinton: "It's the economy, stupid!"

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das war aber nun nicht von Bill Clinton!)

 

 



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