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Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt

Irmingard Schewe-Gerigk, Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt

9. März 2006

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Internationale Frauentag ist nach wie vor hochaktuell. So feierte ihn gestern sogar die größte Boulevardzeitung mit einer blanke-Busen-freien Ausgabe und ohne Telefonsexanzeigen. Selbst "Bild" wollte gestern eine Frau sein.

 

Aber weg vom Boulevard. Der 8. März bietet in der Tat einen guten Anlass, um über den Stand der Gleichberechtigung zu sprechen. Da gibt es viel Licht, aber auch viel Schatten. Auf der einen Seite haben junge Frauen in allen Altersstufen und Schulformen bessere Abschlüsse als Männer, mehr junge Frauen als Männer legen das Abitur ab, Frauen bilden die Mehrheit der Studierenden; aber auf der anderen Seite spiegeln sich diese hervorragenden Qualifikationen der Frauen im Arbeitsleben nicht wider. Nehmen wir zum Beispiel die Bezahlung. Hier spielt das weibliche Geschlecht immer noch eine entscheidende, nämlich negative Rolle. Frauen verdienen in Deutschland durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer.

 

(Ina Lenke [FDP]: Das ist ein Skandal!)

 

Größer ist der Lohnunterschied EU-weit nur noch in Estland und in der Slowakei, Frau Kollegin Lenke.

 

(Ina Lenke [FDP]: Genau!)

 

Dass im 21. Jahrhundert ein Rechtsberater fast 1 000 Euro mehr verdient als eine Rechtsberaterin, ist ein Armutszeugnis für unsere Demokratie.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Christel Humme [SPD])

 

Was die Anzahl von Frauen in Führungspositionen betrifft, gehört Deutschland ebenfalls zu den Schlusslichtern im Vergleich mit anderen Industrienationen. Führungspositionen in großen deutschen Unternehmen sind gerade einmal zu 4 Prozent mit Frauen besetzt. Das ist einfach zu wenig für eine moderne Wirtschaftsnation.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

 

Das, was mich wütend macht - leider ist Frau von der Leyen nicht da -, ist, dass Frau von der Leyen hier immer nur ein Vereinbarkeitsproblem sieht. Sie wünscht sich - ich zitiere aus ihrer Pressemitteilung - "dass künftig deutlich mehr Frauen mit Kindern der Sprung ins Topmanagement gelingt". Wohl wahr, allerdings scheint mir diese Ansicht doch das eigentliche Problem auszublenden; denn in den 30 DAX-Unternehmen finden wir nahezu keine Frau unter den 200 Vorstandsmitgliedern, weder mit Kindern noch ohne Kinder. Eine oder auch einmal zwei Frauen werden als großer Erfolg gefeiert. So werden 70 Prozent aller Betriebe ausschließlich von Männern geführt. Frauen gelangen in Deutschland gerade einmal in die Vorzimmer der Macht. Die Männerdominanz in den Spitzenpositionen ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern sie stellt auch - ich schaue zur FDP - den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes infrage.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

 

Wieso kann sich eigentlich nur die deutsche Wirtschaft leisten, auf die Potenziale und Fähigkeiten von Frauen, vor allem was Entscheidungspositionen angeht, zu verzichten? Warum werden Frauen erst hoch qualifiziert, ohne dass sie danach adäquate Arbeitsplätze finden? In anderen Ländern weiß man, dass eine große Anzahl erwerbstätiger Frauen auch zu vielen neuen Jobs, zum Beispiel im Dienstleistungsbereich, führt. Das sollte eigentlich den Wirtschaftsminister und die Frauenministerin auf den Plan rufen. Vom Wirtschaftsminister haben wir nichts gehört. Die Frauenministerin ist ganz gelassen. Sie sagt: Frauen rücken doch auf; jede Vierte ist schon in einer Führungsposition. Sie verschweigt allerdings, dass sie sich auf eine Studie bezieht, in der auch Kleinstbetriebe untersucht wurden. Nach dieser Studie gilt die Filialleiterin einer chemischen Reinigung mit einer Angestellten als Führungskraft. So kann Frau sich die Welt wirklich schönreden.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

 

Ministerin von der Leyen, die sich für Frauen nur dann zuständig fühlt, sofern sie Mütter sind, sagt aber auch: Eine Kanzlerin reicht; wir brauchen keine Gleichstellungsgesetze. Sie hält sie sogar für kontraproduktiv. Dabei sollte ihr das Beispiel Norwegen zu denken geben. 2003 hat Norwegen versucht, mit einer freiwilligen Vereinbarung mehr Frauen in Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften zu bringen. Das war ein Flop - ebenso wie die freiwillige Vereinbarung in Deutschland mit den Spitzenverbänden und der Bundesregierung. Nun gibt es seit Januar in Norwegen ein Gesetz, das vorsieht, dass der Frauenanteil bis Ende 2007 bei 40 Prozent liegen muss; anderenfalls droht die Auflösung der Aufsichtsräte. So viel Mut würde ich uns auch einmal wünschen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

 

- Sehr gut, jetzt klatscht sogar die SPD. Das ist toll.

 

Dabei ist eines interessant: Dieses Gesetz wurde nicht von einer Feministin eingebracht, sondern vom konservativen Wirtschaftsminister Gabrielsen, der kritisierte, dass zu viel Wissenspotenzial und Innovation verloren ginge, wenn Frauen ausgeschlossen werden.

 

Im Übrigen ist der Minister zutiefst davon überzeugt, dass viele der internationalen Firmenskandale der letzten Jahre nicht passiert wären, wenn in den Aufsichtsräten statt der - jetzt zitiere ich den Minister - "Raffgier der Männer in den 50ern vielfältigere Interessen dominiert hätten".

 

(Zuruf von der SPD)

 

- Ja, das kann man eigentlich gar nicht mehr kommentieren. - In der Tat stellt auch in Deutschland die Männerdominanz in den Führungsetagen ein unglaubliches Innovationshemmnis dar.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Ich wage die Behauptung, dass es einen Zusammenhang zwischen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, der hohen Arbeitslosigkeit und der Männerdominanz in den Spitzengremien der Wirtschaft gibt. Bei der Frage, warum Frauen trotz bester Qualifikation nicht in die Toppositionen kommen, stößt man auf sehr provokative Thesen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

 

Die erste These ist: Männer haben Angst vor mächtigen Frauen. Salman Rushdie geht sogar so weit, die Angst islamischer Männer vor der weiblichen Sexualität als eine Ursache für den Terrorismus anzusehen.

 

Zweite These. Männer wollen unter sich bleiben. Gleichberechtigte Frauen sind da eher Fremdkörper oder auch Spielverderberinnen. VW mit seinem reinen Männervorstand ist eigentlich das beste Beispiel dafür. Was da vor einigen Monaten öffentlich wurde, war sicherlich nur die Spitze des Eisberges.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Nach gelungenen Abschlüssen gönnten sich die Herren sexuelle Dienstleistungen auf Firmenkosten. Klar, da würden Vorstandsfrauen nur stören. Herr Hartz hatte bei seinen Vorschlägen zur Arbeitsmarktreform die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen angekündigt. Das ist ihm nicht gelungen. Um den Erhalt der Arbeitsplätze in der Sexindustrie hat er sich aber offensichtlich verdient gemacht.

 

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

 

Die Sammelklage der sechs US-Managerinnen gegen eine zum Allianzkonzern gehörende Bank wegen systematischer Diskriminierung zeigt den richtigen Weg auf: Frauen brauchen Rechte. Darum ist es dringend notwendig, dass das Antidiskriminierungsgesetz schleunigst verabschiedet wird.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

 

Aber das reicht nicht aus. Es gibt nicht die eine Maßnahme oder das eine Gesetz, wodurch die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden kann. Hier müssen viele Maßnahmen zusammenwirken. Aus dem umfangreichen Forderungskatalog unseres Antrages stelle ich Ihnen einige wesentliche Forderungen vor:

 

Die Bundesregierung muss aufgrund der Analysen, die sie ja teilt, endlich ein Programm zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt auflegen. Wir brauchen endlich gesetzliche Regelungen zur Umsetzung der Chancengleichheit in der Wirtschaft. Aber daneben wollen wir auch Anreize geben. Die öffentliche Auftragsvergabe soll daran gekoppelt werden, dass Unternehmen Maßnahmen zur Gleichstellung ergreifen. Ein gutes Vorbild für Frauenförderung in der Wirtschaft sind die USA. Auch dort hat nicht der Gleichheitssatz der Verfassung die Frauen vorangebracht. Es waren vielmehr zum einen die zur Ausführung der Verfassung verabschiedeten Anreizsysteme und zum anderen der Mut, auch vor gesetzlichen Regelungen und Sanktionen nicht zurückzuschrecken.

 

Aber zurück zu Deutschland. Damit Frauen endlich den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten, müssen alle Tarifverträge untersucht und neu bewertet werden.

 

(Ina Lenke [FDP]: Genau!)

 

Die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst sollten hierbei ein erster Ansatzpunkt sein.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Das Ehegattensplitting hat sich vielfach als Hindernis für Ehefrauen erwiesen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Da sagt der Ehemann: Das lohnt sich eigentlich gar nicht. Ich bekomme doch 9 000 Euro Steuervergünstigung.

 

(Zustimmung der Abg. Ina Lenke [FDP])

 

Wir wollen daher eine Individualbesteuerung, damit Frauen auf ihrer Gehaltsabrechnung sehen, was sie wirklich verdienen.

 

Viele erwerbslose Frauen werden durch die Hartz-IV-Regelungen nach wie vor benachteiligt. Auch dies ist nicht neu. Das haben wir als Grüne schon während unserer Regierungszeit immer wieder mahnend angemerkt. Diese Frauen haben aufgrund der Anrechnung des Partnereinkommens nicht nur keine Einnahmen, sondern auch keinen Anspruch auf Fördermaßnahmen der Arbeitsagentur. An dieser Stelle muss eine Klarstellung im SGB II vorgenommen werden.

 

Die Bundesregierung muss diese Maßnahmen zügig umsetzen. Es ist wirklich schade, dass die Ministerin nicht hier ist. Ich hätte sie gern selbst angesprochen. Die Ministerin sollte die Frauenfrage nicht auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduzieren; denn es geht um viel mehr. Es geht um eine grundlegende Veränderung der Geschlechterverhältnisse und damit um die Veränderung eines wesentlichen Grundprinzips unserer Gesellschaft. Die Frauen haben einen langen Veränderungsprozess hinter sich. Nun sind die Männer am Zug. Die gesetzlichen Voraussetzungen - ich nenne nur die Elternzeit - haben wir unter Rot-Grün geschaffen. Inzwischen gibt es auch viele verbal aufgeschlossene Männer, aber den Worten müssen jetzt auch Taten folgen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Sowohl die Linke als auch die FDP haben Anträge in die Debatte eingebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ich freue mich darüber, dass unser Antrag Sie so inspiriert hat. Viele Analysen und Forderungen sind wortwörtlich mit denen unseres Antrags identisch.

 

Was von der FDP kommt, finde ich immer sehr überraschend. Sie stehen wie so oft vor einem Problem. Sie sehen zwar die Diskriminierung der Frauen, meinen aber, dass Leistung allein reicht, um sich durchzusetzen.

 

(Widerspruch der Abg. Ina Lenke [FDP])

 

- Natürlich, so steht es in Ihrem Antrag! - Ich habe vorhin gesagt - Sie haben es gehört -, wie qualifiziert die Frauen sind. Demnach müssten sie an der Spitze sein. Das ist aber nicht so. Sie scheuen gesetzliche Regelungen wie die Teufelin das Weihwasser. Diesen Widerspruch versuchen Sie zu verdecken, indem Sie sagen, dass die Regelungsdichte am Arbeitsmarkt abgebaut werden müsste. Von Ihnen wird immer wieder behauptet, eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes würde ausreichen.

 

(Ina Lenke [FDP]: Das stimmt nicht!)

 

Ich stelle Ihnen einmal die Frage: Wie soll sich denn eine Frau in einem völlig ungesicherten Arbeitsverhältnis beispielsweise für ein Kind entscheiden?

 

(Ina Lenke [FDP]: Das ist doch klar!)

 

Sie sehen, Frau Kollegin Lenke: Ideologie hilft hier nicht weiter.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch der Abg. Miriam Gruß [FDP] - Ina Lenke [FDP]: Das stimmt nicht! Dann haben Sie den Antrag sehr einseitig gelesen, Frau Kollegin! Sie sollten ihn objektiv und nicht subjektiv lesen!)

 

Ich hätte mich gern mit den Vorstellungen der großen Koalition auseinander gesetzt. Aber offensichtlich sehen Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU und der SPD, überhaupt keinen Handlungsbedarf.

 

(Ina Lenke [FDP]: Wir sehen natürlich Handlungsbedarf!)

 

Ich finde, das sollten die Frauen in diesem Land wissen. Sie sollten wissen, dass von Ihnen keine Vorschläge gemacht werden und dass Ihres Erachtens keine Regelungen notwendig sind, um die desaströse Situation von Frauen, die sehr gut ausgebildet sind, dann aber nicht auf entsprechende Arbeitsplätze kommen, zu verbessern.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich hätte von Ihnen wirklich mehr erwartet. Ich finde schon, dass das ein Armutszeugnis ist. Vielleicht wird die Debatte in den Ausschüssen das Ganze noch etwas mehr aufhellen.

 

Da sich die Union vollauf damit beschäftigt, unter großen Querelen ihr Familienbild zu entstauben, sehe ich ein, dass von da nichts zu erwarten ist, wobei eine Ministerin, die einen kompletten Teil ihres ja nicht sonderlich großen Ressorts einfach vernachlässigt, im besten Fall als ignorant zu bezeichnen wäre.

 

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Unglaublich!)

 

Meine Damen und Herren, wir brauchen in diesem Land deutlich mehr Anstrengungen, um Antworten auf die Geschlechterfrage im 21. Jahrhundert zu finden.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



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