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Antidiskriminierungsgesetz (21.01.2005)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, Sie haben sich heute nicht gerade als Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels geoutet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zurufe von der CDU/CSU: Was?)

Es waren die Grünen, die vor 20 Jahren als erste ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt haben, das den Schutz vor Ungleichbehandlung von Frauen zum Ziel hatte. Heute beraten wir ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach wie vor ohne sonderliches Interesse seitens der Bundesregierung!)

das alle Diskriminierungsmerkmale erfasst und sowohl für das Arbeits- als auch für das Zivilrecht gilt.

Ich frage Sie, Herr Laumann, welchen Sinn es machen soll, wenn man Frauen vor Diskriminierung schützt, aber behinderte Menschen nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ilse Falk [CDU/CSU]: Wieso denn nicht? Das stimmt doch überhaupt nicht!)

- Weil das im Zivilrecht nicht zwingend vorgeschrieben ist. Wir machen ein Gesetz, das Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale eine klare Absage erteilt. Es ist ein Gesetz mit Augenmaß, das nicht jegliches unterschiedliches Handeln verbietet, sondern Differenzierung zulässt, wenn es dafür eine sachliche Begründung gibt. Ich nenne nur die Stichwörter Jugendtarife, Seniorenteller und Frauensauna. All dies wird noch möglich sein. Trotzdem macht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf deutlich, dass Privatautonomie da endet, wo andere Menschen diskriminiert werden. Das Gesetz wird zur Modernisierung der Gesellschaft beitragen.

Ich frage mich, was der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände und CDU-Abgeordnete Göhner - leider ist er heute nicht anwesend, aber wir wissen ja, dass er sein Abgeordnetenmandat als Nebentätigkeit betreibt; wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, kann man wohl nicht immer hier sein - mit seinen Horrorszenarien über das Gesetz beabsichtigt. Ich halte das, was in diesem Zusammenhang betrieben wird, für eine ganz miese Stimmungsmache.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das, was Sie machen, ist Stimmungsmache!)

Selbstverständlich ist auch mit Klagen zu rechnen. Blieben diese aus, dann wäre ein solches Gesetz gar nicht notwendig; dann hätten wir uns die Arbeit sparen können. Aber von einer Klagewelle zu sprechen soll nur die Menschen im Lande verunsichern.

Gerade für die Geschlechtergerechtigkeit ist das Antidiskriminierungsgesetz ein wichtiger Baustein. Darum war uns Grünen der horizontale Ansatz - das heißt, dass alle Diskriminierungsmerkmale erfasst werden - besonders wichtig. Denn gerade Frauen sind häufig von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Frauen mit Migrationshintergrund oder Behinderung sowie ältere Frauen tragen das höchste Risiko, auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt zu werden.

Das schon bestehende arbeitsrechtliche Verbot der Diskriminierungaufgrund des Geschlechts werden wir jetzt erweitern. Vor Benachteiligung im Arbeitsleben, bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg, den Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Entlohnung, gibt es jetzt einen wirksamen Schutz. Dieser ist gerade bei der Entlohnung notwendig; denn heute, im 21. Jahrhundert, verdienen Frauen im Durchschnitt immer noch 30 Prozent weniger als Männer. Ich finde, es ist an der Zeit, dies zu beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Bei einem groben Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot können jetzt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft vom Arbeitgeber verlangen, die Benachteiligung zu unterbinden. Das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Anderenfalls können sie auch dagegen klagen.

Das Benachteiligungsverbot gilt nun auch für privatrechtliche Versicherungen aller Art. Unisextarife werden damit zwar noch nicht automatisch durchgesetzt, wenn Versicherungsunternehmen aber wegen des Geschlechts differenzieren, unterliegen sie einer gesteigerten Darlegungspflicht. Künftig können auch Frauenverbände benachteiligte Personen in zivilrechtlichen Verfahren unterstützen oder eine Abtretung verlangen.

Von großer Bedeutung ist für uns die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle. Frau Eichhorn, Sie haben gesagt, das alles sei aufgeblasen. Wir haben jedenfalls die bestehenden Strukturen mit den Behindertenbeauftragten und den Integrationsbeauftragten genutzt, damit das Modell möglichst klein bleibt. 30 Personen für das gesamte Bundesgebiet sind sicherlich nicht zu viel. Alle Opfer von Diskriminierung werden dort eine Anlaufstelle haben.

Wichtig ist uns Grünen auch ein wirksamer Schutz vorAltersdiskriminierung. Frau Eichhorn, das haben Sie ebenfalls aufgegriffen. Obwohl Sie vorhin Beispiele für die Diskriminierung alter Menschen genannt haben, wenden Sie sich gegen unser Gesetz. Sie sollten sich entscheiden, welche Linie Sie verfolgen wollen. Gerade bei der Altersdiskriminierung belegt Deutschland einen traurigen Spitzenplatz. 60 Prozent der Betriebe beschäftigen keine über 50-jährigen Menschen mehr. Ich finde, das können wir nicht länger hinnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz der Perspektivwechsel. Bisher waren Diskriminierte Opfer und Bittsteller. Nun sind sie es nicht mehr. Sie können mithilfe des Gesetzes ihre Rechte einfordern und durchsetzen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass 2005 nicht nur das Einstein-Jahr, sondern auch - das wird oft vergessen - das Schiller-Jahr ist. Da wir in diesem Jahr den 200. Todestag Schillers begehen, haben wir darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoll ist, einige seiner Zitate hier im Bundestag zu verwenden.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sollten Sie machen, wenn Sie wieder mehr Zeit haben!)

- Nein, es ist ganz kurz. - Ich finde, zu unserer heutigen Debatte passt nach 20-jähriger Diskussion über ein Antidiskriminierungsgesetz folgendes Schiller-Zitat ganz gut: "Der Worte sind genug gewechselt, nun lasset Taten folgen."

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber nicht das Originalzitat!)

- Doch, das ist das Original.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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