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Geschlechtergerechtes Deutschland (10.03.2005)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Guten Morgen, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre Grundgesetzänderung und der Internationale Frauentag haben alle Fraktionen beflügelt, Forderungen zum Thema Gleichstellung vorzulegen. Einzig die FDP hat es geschafft, vier Seiten ohne einen einzigen konkreten Vorschlag zu bedrucken. Aber das passt irgendwie. Sie begnügen sich mit Klamauk.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das ist nicht fair!)

Ich will dazu zwei Beispiele nennen, Kollegin Lenke: Ihr Kollege Bahr setzt in die Welt, dass die falschen Frauen Kinder bekommen. Ich frage mich: Wen meint er denn wohl damit? Meint er vielleicht seine Kollegin Koch-Mehrin, die ihren nackten Babybauch zum Fotoshooting präsentiert?

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Alles frauenpolitisch motivierte Signale!)

Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen rät den alten Menschen, endlich den Löffel abzugeben. Sie sehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die FDP kann man getrost vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nun zu den Anträgen der CDU/CSU. Frau Kollegin Roedel, ich hatte eigentlich eine andere Rede vorbereitet. Aber nach dem, was Sie hier zum Besten gegeben haben, muss ich mein Manuskript leider zur Seite legen. Sie haben allen Ernstes behauptet, die großen Erfolge in der Frauenpolitik habe die CDU/CSU bis 1998 zu verbuchen und seit unserer Regierungsübernahme herrsche hier Stagnation. Ich denke nicht, dass Sie das wirklich glauben; Sie lächeln ja auch so.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wissen Sie eigentlich nicht, warum Sie 1998 abgewählt wurden? Wir hatten im Bereich der Frauenpolitik alle Hände voll zu tun, weil Sie Ihre Hände jahrelang in den Schoß gelegt hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben nicht nur Gesetze aufgelegt und verabschiedet, sondern auch die frauenpolitische Wirklichkeit in Deutschland verändert.

Ich nenne Ihnen einmal die Fakten, Frau Roedel: Seit der Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes steigt die Zahl von Frauen in Leitungspositionen. In vielen Ministerien wurden mehr Frauen als Männer befördert. Das Justizministerium zum Beispiel hat zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer befördert. Im Auswärtigen Amt wurden in den letzten Jahren zu 70 Prozent Frauen eingestellt. Dank unserer Anstrengungen im Wissenschafts- und Forschungsbereich stieg der Anteil der Frauen bei den Professuren von 1998 bis heute von 9 auf 13 Prozent. Das ist noch zu wenig. Sie können aber doch nicht sagen, es sei nichts passiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Durch das Elternzeitgesetz verbesserte sich der Anteil der Väter, die Elternzeit in Anspruch nahmen, von 1,5 - das ist eine homöopathische Dosis - auf immerhin 5 Prozent. Ich frage mich, warum Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Wir werden auf jeden Fall nicht zulassen, dass Sie solche Schauermärchen verbreiten und die Öffentlichkeit täuschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich will nicht verhehlen, dass es noch genug zu tun gibt, gerade in der Privatwirtschaft. Weibliche Führungskräfte, Nachwuchsförderung, gleicher Lohn - Fehlanzeige. Die Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft war ein Flop; das muss man sagen. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn noch nicht einmal die Hälfte aller Betriebe etwas von der Existenz dieser Vereinbarung weiß? Darum brauchen wir ein Bündnis fürChancengleichheit, ähnlich dem von der Ministerin Renate Schmidt initiierten Bündnis für Familie. Die Frauen wollen nicht darauf warten, aufgrund mangelnden männlichen Nachwuchses in einer alternden Gesellschaft notgedrungen auf die Chefsessel gelassen zu werden.

Die Union beschäftigt sich nun auch mit der Situation der Frauen mitMigrationshintergrund. Na endlich, kann ich da nur sagen. Willkommen in der Gegenwart! Opposition tut Ihnen offensichtlich gut.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Während Ihrer Regierungszeit hatten ausländische Ehefrauen, die weniger als zwei Jahre in Deutschland verheiratet waren und aufgrund von Gewalt in ein Frauenhaus flüchteten, zwei Möglichkeiten: Entweder sie wurden abgeschoben oder sie mussten sich der Prügel durch ihren Mann weitere zwei Jahre aussetzen, bevor sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhielten. Wir haben das geändert, entgegen Ihrem Widerstand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Auch von geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund wollten Sie nichts wissen. Natürlich müssen wir die Migrantinnen in Deutschland schützen. Das Thema Zwangsprostitution mit der erleichterten Visapraxis zu verbinden, Frau Roedel, das eignet sich hier wirklich nicht. Die Zahlen belegen, dass auch nach dem veränderten Erlass aus der Ukraine nicht mehr Kriminalität und Zwangsprostitution zu verzeichnen sind.

(Zurufe von der CD/CSU: Was?)

Nehmen Sie die Zahlen einfach zur Kenntnis!

(Ina Lenke [FDP]: Was soll denn das? - Zurufe von der CDU/CSU)

- Hören Sie doch einmal zu, anstatt zu schreien!

Im letzten Monat wurde als sechstes Opfer in vier Monaten in Berlin die Deutschtürkin Hatun Sürücü - vermutlich durch ihre eigenen Brüder - erschossen. Ihr "Verbrechen" war, dass sie sich dagegen wehrte, dass ihre Familie Kontrolle über ihre Lebensweise, ihren Körper und die Wahl ihres Ehemannes ausübte. Dafür musste sie sterben.

(Ina Lenke [FDP]: Was ist mit Zwangsheirat?)

- Stellen Sie doch einmal eine Frage! Das verlängert meine Redezeit.

(Ina Lenke [FDP]: Ich will keine Frage mehr!)

Hier nützen aber keine strafrechtlichen Verschärfungen; denn Mord ist Mord. Hilfe und Aufklärung sind angesagt.

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Doppelmoral! Scheinheilig!)

- Herr Präsident, so kann ich nicht reden.

Im Falle der Zwangsverheiratung war es allerdings nötig, das ausdrückliche Verbot in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Das haben wir getan. Ihre Forderung ist also unnötig. Viel wichtiger aber ist, dass die aus Deutschland in das Ausland verbrachten zwangsverheirateten Frauen ein Rückkehrrecht nach Deutschland haben, und das auch später als nach sechs Monaten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Da sind Sie gefragt, verehrte Kolleginnen von der Union. Hier können Sie etwas tun. Denn eines geht nicht an: Sie können nicht hier im Bundestag Krokodilstränen über die Situation der Frauen vergießen, aber im Bundesrat alles verhindern, was den betroffenen Frauen hilft, ein Aufenthaltsrecht zu bekommen.

Wir müssen aber auch die Diskussion mit den Migrantinnen undMigranten führen. Es kann nicht sein, dass junge türkische Männer in aller Öffentlichkeit einen solchen Mord gutheißen. Es kann auch nicht sein, dass Mädchen von Mitschülern oder Brüdern bedroht werden, wenn sie kein Kopftuch tragen. Notwendig ist eine selbstkritische Diskussion in den Migranten-Communities.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines anmerken: In den Anträgen sind einige Punkte enthalten, die wir nur gemeinsam durchsetzen können.

(Ina Lenke [FDP]: Ach so! Jetzt plötzlich gemeinsam!)

- Ja, die FDP hat doch noch nichts Schriftliches vorgelegt. - Darin haben wir durchaus Erfahrung, zum Beispiel beim § 177 StGB oder den Unisex-Tarifen. Das wäre sowohl für den Internationalen Frauentag als auch für das zehnjährige Jubiläum des Staatsziels Gleichstellung im Grundgesetz ein positives Signal.

Ich danke Ihnen recht herzlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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