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Wahlrecht von Geburt an (02.06.2005)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Frau Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mehr Demokratie wagen, das wollen die Verfasserinnen und Verfasser des Gruppenantrages. Aber eine echte Demokratieinnovation ist das nicht. Davon könnte man eigentlich nur sprechen, wenn es ein originäres Wahlrecht für Kinder gäbe, wie es zum Beispiel die Berliner Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. fordert, aber nicht so.

Ihnen, liebe Antragstellerinnen und Antragsteller, geht es eigentlich nicht um das Prinzip "Kinder an die Macht"; denn Sie wollen kein Wahlrecht für Kinder. Was Sie wollen, ist ein zusätzliches Wahlrecht für die Eltern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für ihre Bereitschaft, Kinder zu bekommen, sollen sie mit einer zusätzlichen Stimme bei den Parlamentswahlen belohnt werden, also mit einer Art parlamentarischem Kindergeld.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)

Da Sie aber kein originäres Elternwahlrecht fordern können, fordern Sie eben ein abgeleitetes. Genau das ist vom Grundgesetz aber nicht gewollt. Der Grundsatz der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl schließt es aus, ein Stimmengewicht von Gruppen verschieden zu bewerten. Das Dreiklassenwahlrecht von Preußen mit seiner unterschiedlichen Stimmengewichtung nach dem jeweiligen Stand wurde bereits 1918 abgeschafft. Also versuchen wir doch jetzt nicht, es für Eltern wieder einzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)

Für Kinder und Jugendliche ergeben sich durch ein Wahlrecht ab Geburt keinerlei Rechte - das wurde in der Anhörung sehr deutlich -; denn von Rechten kann man nur dann sprechen, wenn man sie einklagen und bei ihrer Verletzung Sanktionen durchsetzen kann. All das gibt es bei einem Elternwahlrecht nicht.

Wer garantiert eigentlich dafür, dass die Eltern das Wahlrecht "treuhänderisch für das Kind" ausüben? Niemand! Gerade bei älteren Kindern und Jugendlichen ist es doch fast schon der Regelfall, dass die politische Meinung der Eltern von der ihrer Kinder abweicht. Dass sich die politische Meinung der Kinder tatsächlich im Stimmverhalten der Eltern widerspiegelt, ist nicht mehr als eine vage Hoffnung. Ich glaube, dass die Eltern die Stimmen ihrer Kinder dazu benutzen, um so zu wählen, wie sie es selbst für richtig halten; durch das Elternwahlrecht haben sie dann eben mehr Stimmen. Das ist kein Wahlrecht für Kinder.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)

Das Wahlrecht ist ein höchst persönliches Recht. Es ist nicht übertragbar und es duldet keine Stellvertretung.

Der Vergleich mit dem Wahlhelfer bei Menschen mit Behinderung zieht nicht. Zu diesem Vergleich muss ich sagen: Dieser Vergleich hinkt; denn die Wahlhelfer sind an die Weisungen des Wählers oder der Wählerin gebunden, Eltern sind das nicht.

Die Intention des Antrags ist und bleibt - auch das wurde hier schon gesagt - richtig: Unser Land muss kinderfreundlicher werden. Jungen Menschen müssen Hindernisse und Risiken aus dem Wege geräumt werden, damit sie wieder mehr Freude haben, Kinder zu bekommen. Die Aufgabe der Politik ist, die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.

Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihren Investitionen in den Ausbau von Ganztagsschulen und Kindertagesstätten ganz neue Maßstäbe gesetzt, und das ohne ein Elternwahlrecht. Ein Elternwahlrecht ist der falsche Weg zu mehr und besserer Familienpolitik. Es ist doch hanebüchen, zu glauben, dass Eltern grundsätzlich mehr als andere darauf achten, dass Politik die Interessen der Kinder und der jüngeren Generation vertritt. Das ist eine reine Hypothese. Genauso könnten wir behaupten, eine weibliche Kanzlerin mache automatisch Interessenpolitik für Frauen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Interessant finde ich übrigens, dass Sie zum einen mehr demokratische Rechte und eine andere Politik fordern, und in Ihrer Begründung zugleich kalkulieren, dass diese Ausweitung keine Verschiebung innerhalb des politischen Spektrums bedeutet. Mehr Demokratie wagen, aber dabei bitte keine großen Veränderungen - das ist die konservative Grundhaltung, von der der Antrag geprägt ist.

Wenn wir die Interessen von Kindern und Jugendlichen tatsächlich mehr berücksichtigen wollen, sollten wir endlich das Wahlalter auf 16 Jahre absenken, wie wir Grüne das schon seit Jahren fordern.

Die Einführung eines Familienwahlrechts ist in jeder Hinsicht der falsche Weg. Er ist verfassungswidrig, lebensfremd und unpraktikabel. Darum bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung zuzustimmen und den Antrag abzulehnen.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

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