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Stalking-Bekämpfung (02.06.2005)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stalking, also das fortgesetzte Verfolgen, Belästigen und Bedrohen einer Person, hat in den letzten Monaten große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Häufig wurden Fälle beschrieben, bei denen Stars oder Sternchen die Opfer waren. Natürlich ist es schockierend und bietet auch Gesprächsstoff, wenn ein obsessiver Fan in die Wohnung von Jeanette Biedermann einbricht, um sich in ihr Bett zu legen.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie bei Inge Meysel damals! - Gegenruf der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war zumindest ein Anfangsverdacht von Stalking!)

Die meisten Stalkingfälle sehen aber anders aus: Stalking findet überwiegend in sozialem Nahraum statt; Täter und Opfer kennen sich bereits. Bei der Hälfte der Fälle handelt es sich um bestehende oder ehemalige Partnerschaften. In den allermeisten Fällen sind die Betroffenen Frauen. Anders als beim Prominentenstalking sind diese Stalker leider häufiger bereit, physische und psychische Gewalt anzuwenden.

Im Gewaltschutzgesetz hat die rot-grüne Regierung 2002 erstmals die Möglichkeit geschaffen, gegen Stalker vorzugehen. Handelt es sich auch nicht immer gleich um physische Gewalt, so bedeutet Stalking für die Opfer doch eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung und oftmals auch ihrer Gesundheit. Die Opfer können heute eine zivilgerichtliche Schutzanordnung erwirken, wenn ihnen eine andere Person gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie mithilfe von Telefon und E-Mails verfolgt. Verstößt der Täter gegen diese Anordnung, macht er sich strafbar. Das Gericht kann eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängen.

Damit haben wir erstmals in Deutschland eine strafrechtliche Handhabe gegen Stalking geschaffen. Das war ein sehr wichtiger Schritt. Allerdings wurde auch deutlich: Die Notwendigkeit, vor dem Zivilgericht selbst die Beweise sammeln und anführen zu müssen, bedeutet für die Opfer eine sehr große Belastung, die ihnen in ihrer schwierigen Situation häufig nicht zuzumuten ist. Meist rät ja auch die Polizei von einer Anzeige ab. Schaue ich mir die Darmstädter Studie an, so sehe ich: 70 Prozent der Opfer fühlen sich von der Polizei nicht ernst genommen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Es wäre sinnvoll, die typischen Verhaltensmuster des Stalkings endlich auch als strafrechtlich relevantes Unrecht festzuhalten; denn ohne geeignete gesetzliche Grundlagen, Herr Justizminister, sind den Ermittlungsbehörden oft die Hände gebunden. Für sich allein genommen liegen die Handlungen der Stalker oft unterhalb der Strafbarkeitsschwelle. Erst ihre Langfristigkeit, ihre Wiederholung und ihr Kontext machen die Bedrohlichkeit für das Opfer aus.

Über die Notwendigkeit eines Straftatbestands - so habe ich heute vernommen - sind wir uns einig. Nicht einig sind wir uns über die Ausgestaltung. Wir können dem vorliegenden Gesetzentwurf aus dem Bundesrat nicht zustimmen. Der Tatbestand enthält vier unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Verhältnis zueinander überhaupt nicht geklärt ist. Damit läuft er Gefahr, der Bestimmtheitsanforderung des Grundgesetzes nicht standzuhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

- Das sage ich gleich.

Zugleich wurden häufig vorkommende Belästigungsarten wie das Schalten von Anzeigen oder die Bestellung von Waren und Dienstleistungen für das Opfer nicht aufgenommen. Völlig inakzeptabel, weil unangebracht und unverhältnismäßig, ist für uns eine Deeskalationshaft für "gefährliche Täter" des Stalkings.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Probleme lassen sich auch nicht allein durch einen neuen Straftatbestand lösen. Bremen ist - das wurde gerade gesagt - bisher das einzige Bundesland, in dem Polizei, Justiz und Beratungsstellen zum Thema "Stalking" gut vernetzt sind. Hier spricht die Polizei die Stalker, sofern sie namentlich bekannt sind, direkt an. Ihnen wird verdeutlicht, dass ihre Handlungen nicht toleriert werden, und Hilfsangebote werden unterbreitet. Mit diesem Konzept ist Bremen sehr erfolgreich. Eine Deeskalationshaft ist dagegen nur von kurzer Dauer und würde vermutlich oftmals nur noch zu weiterer Gewalt führen.

Die anderen Bundesländer müssen jetzt nachziehen. Polizei und Justiz müssen geschult werden, feste Ansprechpartner und -partnerinnen und spezielle, standardisierte Abläufe sind notwendig. Wir wollen nicht das Risiko eingehen, ein an sich sinnvolles Gesetz zu schaffen, das keine Wirkung zeigt, weil die Bundesländer nicht ihren Teil beitragen. Aber auch auf Bundesebene sind Verbesserungen notwendig. Wir müssen das rechtliche Instrumentarium schärfen. Ich nenne nur Sonderzuständigkeiten und beschleunigte Verfahren bei den Staatsanwaltschaften. Das wären zwei Instrumente, um wirkungsvoller arbeiten zu können.

Ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, den Opfern von Stalking bald einen besseren strafrechtlichen Schutz zu geben. Wir werden demnächst einen Gesetzentwurf vorlegen.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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