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Antidiskriminierungsgesetz (17.06.2005)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es verträgt sich nicht mit den Grundsätzen einer Demokratie, wenn Menschen ausgegrenzt werden, und es verträgt sich auch nicht mit denen der sozialen Marktwirtschaft, Herr Kollege Göhner, wenn Menschen willkürlich vom Markt ausgeschlossen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Fairer Wettbewerb braucht Spielregeln; denn Vertragsfreiheit gilt immer für zwei Seiten: für Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen, sowohl für Anbieter als auch für Verbraucher und Verbraucherinnen.

(Dr. Reinhard Göhner [CDU/CSU]: Bisher ist alles richtig!)

Vertragsfreiheit heißt: Menschen müssen am Markt teilnehmen können und dürfen nicht ausgegrenzt werden,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil sie eine dunkle Haut haben, weil sie eine Frau sind oder weil sie angeblich zu alt sind.

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Dann sind wir uns ja einig! - Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das bestreitet kein vernünftiger Mensch!)

Alle haben das Recht auf eine faire Chance.

Diskriminierungsschutz bedeutet mehr Freiheit. Das ADG ist ein Prüfstein für dieses Freiheitsverständnis. Wir verstehen Freiheit umfassend. Sie dagegen, meine werten Kollegen von der CDU/CSU und auch von der FDP, haben einen ganz einseitigen Freiheitsbegriff. Für Sie zählt nur die Freiheit derjenigen, die schon etwas besitzen.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Quatsch! Das glauben Sie doch selber nicht!)

Sie stehen für Ellenbogenfreiheit. Wir wollen Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung, Freiheit und Gerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nicht umsonst unterstützt zum Beispiel der Deutsche Caritasverband unser Antidiskriminierungsgesetz. Darüber freuen wir uns.

Mit dem Antidiskriminierungsgesetz setzen wir vier EU-Richtlinien mit Augenmaß um. Damit schließt Deutschland endlich an europäische Bürgerrechtsstandards an. Frau Kollegin Roedel, Sie behaupten, das Gesetz gehe weit über EU-Vorgaben hinaus. Das ist einfach falsch.

(Hannelore Roedel [CDU/CSU]: Nein, das ist nicht falsch! Sie haben nicht zugehört!)

Alle arbeitsrechtlichen Maßnahmen liegen voll im Rahmen der europäischen Richtlinien und der europäischen Rechtsprechung. Wer etwas anderes behauptet, will die Menschen bewusst in die Irre führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Versuchen Sie es einmal mit der Wahrheit! - Hannelore Roedel [CDU/CSU]: Zuhören ist angezeigt!)

- Jetzt geht es weiter, Herr Schauerte.

Nur an einem wesentlichen Punkt im Zivilrecht gehen wir über die aktuellen EU-Vorgaben hinaus, nämlich bei Massengeschäften. Bei diesen beziehen wir auch Benachteiligungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Identität oder einer Behinderung mit ein; genauso wie im Versicherungswesen. Warum machen wir das? Weil wir eine stimmige Lösung wollen, die keine neuen Ungerechtigkeiten schafft. Die EU-Mindestvorgaben zum Zivilrecht gelten für ethnische Herkunft und Geschlecht. Aber kein Mensch kann vernünftig begründen, warum die Abweisung eines Menschen in einer Gaststätte wegen seiner Hautfarbe zukünftig verboten ist, das Gesetz im gleichen Fall für einen Menschen mit Behinderung aber nicht greift. Erklären Sie mir doch einmal, wie Sie das machen wollen!

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können die nicht erklären! Das blenden die aus! - Ina Lenke [FDP]: Das wollen wir auch nicht!)

Soll denn weiterhin gelten: Behinderte müssen leider draußen bleiben? Das darf nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, steht schon im Grundgesetz!)

Frau Roedel, Ihre Parole "eins zu eins" bedeutet im Klartext: Sie wollen Behinderten, Juden, Homosexuellen oder älteren Menschen gleichen Diskriminierungsschutz verweigern. Und das in Deutschland im 21. Jahrhundert! Das ist für uns überhaupt nicht vorstellbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben dazu im Ausschuss eine gute Anhörung durchgeführt. Danach haben wir eine Reihe von Vereinfachungen und Klarstellungen am Gesetzentwurf vorgenommen. Dabei sind wir vielen Anliegen der Wirtschaft entgegengekommen. Das müsste auch dem Hauptgeschäftsführer der BDA aufgefallen sein. Dennoch verbreiten Sie hier weiterhin Schauermärchen. Schauen Sie sich doch um: Viele Länder haben bereits Antidiskriminierungsgesetze, die noch viel weiter als das reichen, was wir hier vorschlagen. Ich nenne nur Belgien, Frankreich, Schweden, Irland, die Niederlande und viele mehr. Diese Länder sind wirtschaftlich sehr positiv zu bewerten. Also können diese Gesetze keinen Schaden anrichten. Sie haben sich bewährt. Sie sind keineswegs bürokratisch oder für Wirtschaft oder Arbeitsplätze belastend.

Niemandem wird vorgeschrieben, wen er einstellen soll. Niemandem werden Dokumentationspflichten auferlegt. Niemand muss sich vor ungerechtfertigten Klagen fürchten. Ihre Behauptung, das ADG verhindere Beschäftigung, ist wirklich abenteuerlich. Warum soll ausgerechnet die deutsche Wirtschaft ein Recht auf Diskriminierung brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen? Das ist doch aberwitzig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Diese Aussage ist bösartig!)

Das Gegenteil ist der Fall: Diskriminierung ist schlecht für die Wirtschaft und schlecht für das Ansehen Deutschlands.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So viel Bosheit in fünf Minuten! Frau Schewe-Gerigk, das ist ein neuer Rekord!)

In einer globalisierten Welt ist die Anerkennung von Vielfalt - man sagt "diversity" dazu - ein wichtiges Element für den wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmen werben geradezu damit, dass sie Antidiskriminierungsleitlinien in ihrer Geschäftspolitik heranziehen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das machen sie sowieso freiwillig!)

- Warum schreien Sie eigentlich so? Sie können doch gleich reden.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil Sie auch nicht gerade leise sind!)

Für die meisten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, Vermieter und Vermieterinnen oder Dienstleister und Dienstleisterinnen wird sich durch das ADG rein gar nichts ändern; denn sie praktizieren schon Antidiskriminierung. Wer aber willkürlich Menschen von vornherein ausgrenzt und herabwürdigt, dem müssen auch Schranken gesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

- Vielen Dank für Ihren Beifall. - Das machen wir mit diesem Antidiskriminierungsgesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Ina Lenke [FDP]: Aber nicht mit diesem Gesetz!)

Unser Gemeinwesen lebt von der Vielfalt. Wir wollen eine Gesellschaft, in der es möglich ist, ohne Angst anders zu sein. Darum brauchen wir das Antidiskriminierungsgesetz.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das wird die Ängste vergrößern!)

Besinnen Sie sich eines Besseren! Stimmen Sie diesem Gesetz hier und im Bundesrat zu! Wir haben dieses Gesetz nötig. Es ist an der Zeit, es umzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz ist philanthropisch!)



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