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Strafrechtsänderung, Rede vom 12. Mai 2005

Irmingard Schewe-Gerigk, Strafrechtsänderung

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über eines sind wir uns hier im Hause einig: Menschenhandel ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung, ein Verbrechen an der Würde und der Freiheit der Opfer, das mit allen Mitteln und auf allen Ebenen bekämpft werden muss.

 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Bei den Opfern handelt es sich größtenteils um Frauen, die meist mit falschen Jobversprechen als Aupairmädchen oder Bardame nach Deutschland geholt und zur Prostitution gezwungen werden. Hier werden ihnen die Pässe abgenommen, sie werden verkauft und physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Diesem Menschen verachtenden Geschäft, das für die Menschenhändler nicht nur lukrativ, sondern auch risikoarm ist, müssen wir den Boden entziehen.

Darum hat Rot-Grün eine Vielzahl von Gesetzen zum Schutz der Opfer, aber auch zur besseren Verfolgung der Täter beschlossen. Die Situation, die wir 1998 vorgefunden haben, war für die Frauen katastrophal: Wurden sie bei Razzien ohne Papiere angetroffen, behandelte man sie nicht etwa als Opfer von Menschenhandel, sondern als Täterinnen, die gegen das Ausländerrecht verstoßen hatten. Abschiebehaft oder sofortiger Rückflug war die Folge. Die Täter blieben unerkannt, weil die Opfer nicht mehr aussagen konnten, und konnten ihr schmutziges Geschäft weiterführen. Sogar jetzt noch gibt es CDU-regierte Länder, die den vierwöchigen Abschiebeschutz nicht gewähren und damit eine Aufklärung der Verbrechen verhindern. Ich nenne dies Täterschutz.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das von den Grünen!)

 

Auch heute habe ich das Gefühl, dass es Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, nicht wirklich um die Opfer geht, sondern um ein Thema, das sich wunderbar zu einer höchst emotionalisierenden und polemischen Hetze gegen die Regierungsparteien missbrauchen lässt. Frau Granold, ich wollte es nicht ansprechen. Aber heute sind die Zeitungen voll davon, dass die ILO gestern in ihrem Jahresbericht mitgeteilt hat, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Visapraxis und einem erhöhten Anteil von Opfern des Frauenhandels gebe. Sie aber wollen dieses Problem instrumentalisieren. Ihnen ist dies im Ausschuss nicht gelungen; jetzt tragen Sie es hier in den Bundestag hinein.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf des Abg. Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/ CSU])

 

Zu dieser Annahme führen mich vor allem die Unsachlichkeit und Undifferenziertheit, mit der einige - ich betone: einige - an dieses Thema herangehen.

Das beste Beispiel dafür - wir haben es vorhin schon wieder gehört - ist die anhaltende Vermischung des Frauenhandels mit dem Prostitutionsgesetz. Dieses Gesetz verbessert die Situation der Prostituierten, die freiwillig und legal in Deutschland tätig sind. An den polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten hat es überhaupt nichts geändert. Noch gestern habe ich vom LKA Berlin gehört, dass die Razzien in gleicher Intensität weitergeführt werden, wie es vor dem In-Kraft-Treten des Prostitutionsgesetzes der Fall war.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])

 

Wie häufig Razzien durchgeführt werden, liegt also allein in der Länderzuständigkeit. Daher bitte ich Sie, diese bewusste Täuschung zu unterlassen und keine Verbindung zwischen Prostitutionsgesetz und Ermittlungstätigkeit mehr herzustellen.

Aber nun zu Ihrem Antrag: Schon im Vermittlungsausschuss hatten wir Ihnen zugesagt, einen Straftatbestand für jene Freier zu prüfen, die die Zwangssituation von Menschenhandelsopfern vorsätzlich ausnutzen. Für mich ist das ein strafwürdiges Verhalten; ich stehe daher einer solchen Strafbarkeit offen gegenüber. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gut gemeint ist ja oft nicht gut.

 

(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Nichts gemacht ist noch schlechter!)

 

Selbst unter den Opferverbänden, der Polizei und der Rechtswissenschaft gibt es keine einheitliche Bewertung.

Nach einer intensiven Anhörung, die wir gemeinsam mit der SPD durchgeführt haben, habe ich viel mehr Fragen als vorher: Führte ein Straftatbestand dazu, dass die Schleuser die Mauern um die Opfer erhöhen und diese dadurch für die Außenwelt noch weniger sichtbar werden? Könnte auch weiterhin jede fünfte Frau durch Hinweise eines Freiers als Opfer von Frauenhandel identifiziert werden - so ist es jetzt; 20 Prozent der Freier geben den Behörden eine Nachricht - oder würden die Männer schweigen, weil sie sich strafbar machen? Käme es möglicherweise wie im Jahre 2003 in Schweden, wo ja alle Freier bestraft werden, zu keiner Verurteilung?

Für mich steht nur eines fest: Eine gesetzliche Regelung könnte durch ein klares Verbot die wichtige Signalwirkung entfalten, dass dieses menschenverachtende Verhalten vom Staat nicht toleriert wird. Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir zu einer solchen Generalprävention gelangen können. Ihr Antrag ist für uns aber in der hier vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig. Wir sehen auch, dass es schwer ist, einem Freier nachzuweisen, dass er um die Zwangssituation eines Menschenhandelsopfers wusste. Es ist allerdings kein gangbarer Weg, dies dadurch aufzufangen, dass auch fahrlässiges Nichterkennen bestraft werden soll.

 

Viel zu umstritten ist unter Fachleuten die Frage, ob die Zwangssituation der Opfer für die Freier erkennbar ist. Wenn Sie dann auch noch als einen der Umstände, die auf Opfer von Menschenhandel hindeuten, die fehlende Arbeitserlaubnis oder Drogenabhängigkeit nennen, dann macht das wirklich deutlich, dass Sie diese Problematik nicht verstanden haben. Auch wenn es nicht in Ihr Bild passt: Außer der Zwangssituation des Menschenhandels kann es noch ein paar andere Umstände geben, die Migrantinnen dazu bringen, ihren Lebensunterhalt und vielleicht auch den ihrer Familie mit Prostitution zu verdienen.

 

Sie fordern weiterhin eine Kronzeugenregelung für Menschenhandelsdelikte. Das lehnen wir auch in diesem speziellen Deliktbereich ab. Eine solche Regelung würde doch geradezu dazu einladen, die Zwangslage eines Opfers von Menschenhandel zunächst auszunutzen, die Tat erst danach zur Anzeige zu bringen und dafür auch noch straffrei zu bleiben.

 

(Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das ist eine Ermessensvorschrift! Das ist doch kein Muss! Das entscheidet das Gericht!)

 

Selbst auf Ihrem eigenen Symposium hat die Staatsanwältin Leister die Frage gestellt, warum die CDU/CSU die Freier besser stellen möchte als die Opfer. Darüber können Sie ja einmal nachdenken. Im Übrigen ist eine solche Regelung auch nicht nötig, da die Gerichte bereits nach dem geltenden Recht die Bereitschaft zur Aufklärung bei der Strafzumessung der Tat berücksichtigen können.

 

Handlungsbedarf sehen wir wie Sie bei der Telekommunikationsüberwachung, wenn es sich um Verbrechen handelt. Auch wir halten es bei der Strafverfolgung für wichtig, die Strukturen organisierter Kriminalität durch geeignete Ermittlungsmethoden aufzubrechen. Dies werden wir im Rahmen der Reform der Telefonüberwachung, an der die Koalition derzeit arbeitet, berücksichtigen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Bei all Ihren Vorschlägen zum Frauenhandel fällt mir immer wieder auf, dass strafrechtliche und polizeiliche Instrumente in einem absolut unausgeglichenen Verhältnis zu Opferschutz und Opferrechten stehen.

 

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)

 

Den Frauenhandel werden wir nur wirksam bekämpfen können, wenn wir auf Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung setzen.

 

(Ute Granold [CDU/CSU]: Genau das haben wir gesagt!)

 

Ich habe die große Sorge, dass die Maßnahmen, die den Frauen wirklich helfen, wie sichere Unterkünfte, ein besserer Aufenthaltsstatus, qualifizierte Betreuung in spezialisierten Beratungsstellen, die Sie in Ihren Ländern mit Ihrer Mehrheit beschließen können, nicht durchgeführt werden, auch weil sie Geld kosten, und dass man sein Gewissen dadurch entlasten will, dass man lediglich im Strafrecht etwas ändert. Das finde ich scheinheilig.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Einen kleinen Vorgeschmack hat uns die bayerische Justizministerin gegeben, die sagt, sie wisse gar nicht, woher sie das Geld für die Beratungsstellen nehmen solle. Ich frage Sie: Wie wäre es mit einem Opferfonds - Herr Kauder, wir haben gestern Abend darüber diskutiert - à la Rheinland-Pfalz?

 

Herr Kauder, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Sie wissen, Rot-Grün hat im Bundesrat keine Mehrheit, kann also keine aufenthaltsrechtlichen Änderungen durchsetzen, die als Opferschutz dringend notwendig sind. Die CDU/CSU hat im Bundestag keine Mehrheit und kann keine Strafrechtsänderung durchsetzen. Wir sollten uns zu einem Berichterstatter- und Berichterstatterinnengespräch zusammensetzen und beides machen, nämlich in einem Paket einen gemeinsamen Antrag sowohl zum Aufenthaltsrecht als auch zum Strafrecht. Dann könnten wir den Menschenhandel wirkungsvoll bekämpfen.

 

Ich freue mich schon auf die Debatte.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Wenn Sie Ihre Arbeit auch machen, geht es weiter! - Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich mache meine!)

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