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Irmingard Schewe-Gerigk, Frauenhandel

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

 

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitten in Europa finden Tag für Tag Menschenrechtsverletzungen elementarster Form statt. Frauen werden gehandelt, misshandelt, verkauft. Eine moderne Form der Sklaverei im 21. Jahrhundert; und Deutschland ist eines der „Hauptabnehmerländer“ dieses menschenverachtenden Geschäfts. Das Verbrechen ist für die Händler nicht nur lukrativ, sondern auch risikoarm. Die Gewinne werden in Europa auf ungefähr 10 Milliarden Euro geschätzt. Die Verurteilung der Täter ist eher eine Seltenheit, da die Opfer in den meisten Fällen wegen illegalen Aufenthalts abgeschoben werden. Nur wenige Opfer bleiben hier und sagen aus. Braucht der Staatsanwalt ihre Aussage nicht mehr, müssen die meisten unser Land verlassen, während die Täter ihr Geschäft ungestört weiter betreiben können.

 

Nach Angaben der EU werden jährlich circa 500 000 Frauen aus Osteuropa nach Westeuropa verbracht. Die Perspektivlosigkeit in ihren Herkunftsländern treibt die Frauen oft in die Arme der Menschenhändler. Größtenteils werden sie über den tatsächlichen Grund ihrer Einreise getäuscht, der am Ende meist Zwangsprostitution heißt. Der Übergang zur Kinderprostitution ist dabei fließend. Frauenhandel umfasst aber auch andere Formen der Ausbeutung wie Zwangsarbeit, Heiratshandel oder Pornographie. Viele dieser Verbrechen werden mit dem deutschen Strafrecht bisher nicht richtig erfasst. Um sie wirksam bekämpfen zu können, erweitern wir die strafrechtliche Definition des Menschenhandels und setzen zugleich - Frau Granold hat es gesagt - einen Rahmenbeschluss der EU um. Ich möchte hier nur auf einige Punkte eingehen.

 

Die bisherigen Menschenhandelstatbestände, die die sexuelle Ausbeutung betreffen, werden erweitert; denn neben der Prostitution werden die Frauen auch zur Teilnahme in Peepshows oder zur Herstellung pornographischer Darstellungen gezwungen. Diese Erscheinungsformen der sexuellen Ausbeutung werden durch die Gesetzesänderung systematisch erfasst.

 

Außerdem werden neue Tatbestände hinzugefügt, die die Ausbeutung der Arbeitskraft unter Strafe stellen.

 

Auch der Heiratshandel kann künftig in dreifacher Hinsicht besser bekämpft werden: erstens als besonders schwerer Fall der Nötigung, wenn das Opfer zur Eingehung der Ehe genötigt wurde, was ja insbesondere bei der Zwangsverheiratung der Fall ist, zweitens durch die umfassendere Einbeziehung sexueller Handlungen in die Tatbestände des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung. Drittens geht es darum, durch die Verhinderung der Ausbeutung der Arbeitskraft einen Beitrag zur Bekämpfung des Heiratshandels zu leisten. Nicht selten ist es ja so, dass die gehandelten Frauen unter unwürdigen Bedingungen als billige Arbeitskraft im Haushalt missbraucht werden.

 

Künftig wird auch eine erhöhte Mindeststrafe greifen, wenn das Opfer in Todesgefahr gebracht oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt wird. Daneben sind Kinder durch die erhöhte Mindeststrafandrohung unter besonderen Schutz gestellt. Mit diesen Veränderungen verbessern wir die effektive Bekämpfung des Menschenhandels.

 

Wir wollen aber nicht nur die Täter bestrafen, sondern auch den Opfern helfen, den Weg zurück in ein normales Leben zu finden. Dies gilt umso mehr, wenn sie dem Staat mit ihrer Aussage vor Gericht bei der Ermittlung der Täter helfen. In diesem Zusammenhang haben wir durchgesetzt, dass die Staatsanwaltschaft unter erleichterten Voraussetzungen von der Verfolgung einer Straftat, zum Beispiel des illegalen Aufenthalts, absehen kann, wenn die Opfer des Menschenhandels Anzeige gegen die Täter erstatten. Das ist so etwas wie eine kleine Kronzeugenregelung. Wir werden nachher, Herr Kauder, sicher noch einmal darüber reden.

 

Damit ist aber noch nicht alles getan. Die Opfer von Menschenhandel benötigen professionelle Beratung und Betreuung. Dazu muss die rechtliche und finanzielle Sicherheit der Opferberatungsstellen gewährleistet werden. Wir brauchen die Einrichtung eines Opferfonds, der zum Beispiel durch abgeschöpfte Gewinne gespeist werden könnte, aber auch ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Beraterinnen in den Beratungsstellen. Daneben wäre eine generelle Aufenthaltserlaubnis mindestens über die Dauer des Prozesses nötig. Wie schwierig die Durchsetzung einer solchen humanitären ausländerrechtlichen Regelung aufgrund der Zustimmungspflicht des Bundesrates ist, können wir derzeit bei der Zuwanderungsdebatte bestens beobachten.

 

Dabei sollten alle wissen, die darüber entscheiden: Die Rechtlosigkeit der Opfer ist der beste Täterschutz. Das wollen wir doch wohl alle nicht.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg van Essen [FDP]: Warum haben sich die Grünen dann aus den Verhandlungen verabschiedet?)

 

Vor dem Phänomen des Frauenhandels darf niemand die Augen verschließen. Gerade durch die erweiterte Europäische Union ist mit einer Verlagerung und auch mit einer Zunahme zu rechnen. Jeder, der Kenntnis von misshandelten Opfern hat, muss helfen. Hier spreche ich insbesondere die deutschen Freier an. Man weiß, dass Männer quer durch die Gesellschaft - ich muss hier nicht die Namen nennen, die vor kurzem in Prozessen aufgetaucht sind - diese Dienste in Anspruch nehmen. Ohne deren Nachfrage nach billigem Sex und schutzlosen Opfern würde diesem Geschäft der Boden entzogen.

 

Ich glaube, wir haben hier eine große Verantwortung. Wir stehen erst am Anfang der Debatte. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und wünsche, dass wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam beschließen.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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