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Irmingard Schewe-Gerigk, Familienpolitik

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

 

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Um es vorweg zu sagen: Haushaltskonsolidierung macht bei einem gesellschaftspolitisch so relevanten Ministerium, das zudem nur einen Etat von 3 Milliarden Euro hat, überhaupt keinen Spaß. Aber wir sind nicht in den Bundestag gewählt worden, um Spaß zu haben, sondern um die Probleme für die jetzige und die nächste Generation zu lösen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Zum Sparen gibt es überhaupt keine Alternative, will man nicht auf Kosten der nächsten Generation leben.

 

Bis 2002 ist es uns gelungen, die Neuverschuldung konsequent zurückzufahren, was angesichts der übernommenen Schulden notwendig war. Dass die Situation mit der vorgezogenen Steuerreform jetzt eine andere ist, gebe ich gern zu.

 

Auf den ersten Blick erbringt das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit einer Reduzierung von 7 Prozent einen der höchsten Einsparhaushalte. Schaut man allerdings genauer hin, so stellt man fest, dass es lediglich 4 Prozent sind. Frau Tillmann, ich werde Ihnen das gleich erläutern. Im Wesentlichen werden die Kürzungen durch Änderungen beim Bundeserziehungsgeldgesetz und dem Zivildienst erreicht. Bevor Sie sich pflichtgemäß lautstark aufregen, gebe ich unumwunden zu:

 

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich rege mich nie lautstark auf!)

 

Die Zustimmung zur Änderung des Erziehungsgeldgesetzes war für uns Bündnisgrüne und für die SPD eine schwere Entscheidung.

 

(Ina Lenke [FDP]: Habt ihr aber trotzdem gemacht!)

 

Vielleicht gelingt es im parlamentarischen Verfahren, noch die eine oder andere Veränderung zu ermöglichen. Aber natürlich müssen Sie die neuen Leistungen für Familien gegenrechnen. Ich nenne den Kinderzuschlag von monatlich bis zu 140 Euro, die Steuerentlastung für Alleinerziehende in Höhe von 1 300 Euro im Jahr und den Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder unter drei Jahren.

 

(Ina Lenke [FDP]: Wann denn?)

 

- Das werde ich gleich sagen. - Mit diesen Maßnahmen bewahren wir 150 000 Kinder vor der Sozialhilfe, unterstützen Alleinerziehende finanziell und sorgen mit der Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen nicht nur für eine Frühförderung von Kindern, sondern ermöglichen überhaupt erst einmal die Erwerbstätigkeit von Eltern,

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

und das mit 200 Millionen Euro zusätzlich.

 

Dieses Geld wird - das ist eine Vereinbarung - im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zwischen der ersten und dritten Lesung des Haushalts eingestellt. Sie können sicher sein, dass es dann enthalten ist, sonst würden wir es hier nicht verkünden.

 

Das ist eine Familienpolitik, die den Menschen tatsächlich eine Wahlfreiheit bietet. Frau Eichhorn, Sie hatten von Wahlfreiheit gesprochen. Bisher hatten die Frauen sie nicht. Sie mussten sich entscheiden, ob sie eine Familie gründen, zuhause bleiben oder in den Beruf gehen wollten. Sie kennen das Resultat: Jede dritte Frau ist heute kinderlos. Das ist das Ergebnis.

 

(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])

 

- Überhaupt nicht.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Hier muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die beides ermöglichen, nämlich Erwerbstätigkeit und Kinder. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen haben wir heute einen großen Beitrag dazu geleistet.

 

Es wäre allerdings viel zu kurz gesprungen, glaubte man, dass die Gleichstellung von Frauen in der Erwerbsarbeit erledigt wäre, wenn die Kinderfrage gelöst ist. Ich glaube, es war August Bebel, der sagte: Wenn die Kinderfrage gelöst ist, ist auch die Frauenfrage gelöst.

 

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Typisch Mann!)

 

Aber dem ist nicht so. Der Anteil von 40 Prozent kinderlosen Akademikerinnen spricht dagegen; obwohl sie keine Kinder haben, erhält nur jede zehnte von ihnen eine Professur oder eine Führungsposition in der Wirtschaft. Von der tatsächlichen Gleichstellung sind wir Lichtjahre entfernt.

 

Und was die Frauen so kränkt: Trotz besserer Schulabschlüsse und Ausbildung verdienen sie im Durchschnitt fast 30 Prozent weniger als Männer. Gesetzliche Regelungen wären hier sicher notwendig gewesen. Die stattdessen erfolgte Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft hat außer verlorener Zeit nun wirklich überhaupt nichts gebracht. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat herausgefunden, dass in 4,1 Prozent der Privatunternehmen tatsächlich betriebliche oder tarifliche Maßnahmen der Gleichstellung erfolgt sind.

 

Diese Zahlen verdeutlichen, dass es sich hier nicht nur um ein Demokratieproblem handelt, sondern dass dies auch nachhaltig Innovationen behindert. Denn mit den Frauen sind die Innovationen zu haben. Wenn wir die gut ausgebildeten Frauen außen vor lassen, werden sie uns nicht gelingen. Was macht es für einen Sinn, in die Ausbildung von Frauen zu investieren, aber ihre Potenziale nicht zu nutzen? Ich frage Sie ganz ernsthaft: Welche Gesellschaft kann sich das überhaupt auf Dauer leisten?

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Deshalb brauchen wir nicht nur Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung - die sind auch nötig -, sondern die verpflichtende Gleichstellung in den Betrieben und die Kopplung der Vergabe öffentlicher Aufträge an Maßnahmen zur Gleichstellung. Das ist das Lieblingsthema meiner Kollegin Ina Lenke. Ein erster Schritt dazu ist die zügige Umsetzung der EU-Richtlinien zur Antidiskriminierung.

 

(Otto Fricke [FDP]: Ja, sehr zügig!)

 

- Im April 2004. Das verspreche ich Ihnen. - Diese moderne Gleichstellungspolitik wird durch die Einrichtung eines Gender-Kompetenzzentrums unterstützt.

 

Ich komme nun zu den Senioren. Die gestiegene Lebenserwartung bietet die Chance, die Potenziale der älteren Generation auch im Interesse der Gesellschaft zu erhalten und zu fördern. Trotzdem gibt es bekanntlich in jedem zweiten Betrieb keine Beschäftigten über 50 Jahre. Ich meine, dies stellt eine massive Diskriminierung älterer Beschäftigter dar.

 

Denjenigen, die auf Hilfe und Pflege angewiesen sind, müssen wir ein selbstbestimmtes und würdiges Leben im Alter garantieren. Wir werden - dazu gibt es bereits Vorarbeiten - die Altenhilfestrukturen besser vernetzen und den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Eine Enquete-Kommission "Menschen in Heimen" wäre meiner Meinung nach ein entscheidender Beitrag dazu. Die Grünen präferieren dieses Vorhaben und wir werden sehen, wie wir es gemeinsam mit Ihnen umsetzen können.

 

Meine Damen und Herren, auch wenn beim Zivildienst die Ansätze reduziert sind, gibt es keine substanziellen Kürzungen. Der Kollege Schaaf hat eben darauf hingewiesen. Weil weniger Wehrpflichtige benötigt werden, reduziert sich auch die Zahl der Zivildienstleistenden.

 

(Ina Lenke [FDP]: Wieso das denn? - Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist eine Milchmädchenrechnung, die Sie aufmachen!)

 

Sie haben bereits darauf hingewiesen. Die alte Finanzierungsregelung 70 : 30 wurde, wie von der Ministerin versprochen, wiederhergestellt, sodass - das halte ich für wichtig - die Träger jetzt Planungssicherheit haben.

 

(Otto Fricke [FDP]: Die haben sie! Bei weniger Plätzen!)

 

Die Verbände haben sich dafür bedankt, dass Wort gehalten wurde.

 

Lassen Sie mich noch einen Satz zu den jungen Menschen sagen, die jetzt die Schulen verlassen. Ich halte es für einen Skandal, dass immer noch mehr als 100 000 Ausbildungsplätze fehlen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Otto Fricke [FDP]: Also machen die besser Zivildienst, oder was?)

 

Wenn die Wirtschaft ihrer Verantwortung nicht nachkommt, sollten wir konsequent sein und eine Ausbildungsplatzumlage beschließen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ich komme zum Schluss. Reformen sind notwendig. Wir stellen die Weichen und übernehmen die Verantwortung für das Leben mit Kindern, für bessere Chancen von Jugendlichen, für eine gerechte Teilhabe von Frauen und für ein Alter in Würde.

 

Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

 



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