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Irmingard Schewe-Gerigk, Sexualstrafrecht

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut. So könnte man das Gesetzgebungsverfahren zum Sexualstrafrecht beschreiben. Anhörungen, produktiver Streit und die Lehre, dass das, was gut gemeint ist, manchmal doch nicht gut ist, haben jetzt zu einem guten Ergebnis geführt: Der Schutz der Opfer wird verbessert, die Strafwürdigkeit einer Tat wird im Strafmaß deutlich gemacht und Strafbarkeitslücken werden geschlossen.

 

Leider gehören alle Formen von sexualisierter Gewalt zu den alltäglichen Verbrechen in Deutschland. Sie wissen, dass viele dieser Straftaten die Opfer an Körper und Seele verletzen und ihre Persönlichkeit tiefgreifend verändern. Die Zahlen der Kriminalstatistik belegen es: Die sexualisierte Gewalt an Kindern hat im letzten Jahr um 6 Prozent zugenommen. Ich benutze den Begriff „sexualisierte Gewalt“ bewusst; denn das Wort „Missbrauch von Kindern“ impliziert, dass es auch einen Gebrauch von Kindern gibt. Dies werden wohl alle in diesem Hause ablehnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Auch bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung hat es 2002 eine Erhöhung um bis zu 14 Prozent gegeben. Ich sehe darin eine erhöhte Bereitschaft, diese Delikte anzuzeigen. Dies ist sicherlich auch ein Erfolg des 2002 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes, das Frauen in die Rechtsposition versetzt, sich effektiver gegen Gewalttäter zur Wehr zu setzen. Das ist praktizierter Opferschutz.

 

Auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den dazu eingebrachten Änderungen verfolgen wir das Ziel, die Opfer zu stärken. Unsere Leitlinie - sozusagen der rot-grüne Faden der Reform - ist die Verbesserung des Opferschutzes. Dabei gilt unser Augenmerk ganz besonders den Kindern und den Menschen mit Behinderung.

 

Unser Bemühen, zusammen mit der Bundesregierung dieses Gesetz in allen Punkten optimal auf die Erfordernisse der Praxis abzustimmen, ist auch daran zu erkennen, dass noch im Gesetzgebungsverfahren wesentliche Verbesserungen erreicht wurden. Den Rat der Fachexpertinnen und -experten aus den Verbänden und der gerichtlichen Praxis haben wir aufgenommen. Herr Kollege Röttgen, es gibt hier überhaupt keinen Anlass für Häme gegenüber der Ministerin. Für mich ist es ein Zeichen von Stärke, die eigene Position zu verändern, wenn man damit etwas Besseres bewirken kann.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Hat sie ja nicht getan!)

 

Dafür danke ich Ihnen, Frau Ministerin, ausdrücklich.

 

Meine Damen und Herren, ich gehe zunächst auf die Änderungen zum Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt ein. Gerade diese verabscheuungswürdigen Verbrechen erregen in der Öffentlichkeit immer wieder besonderes Aufsehen. Hier haben wir Strafbarkeitslücken geschlossen. Bisher waren teilweise schwer wiegende Gefährdungen von Kindern straffrei, zum Beispiel das Anbieten von Kindern im Internet. Der Gesetzentwurf reagiert auf die neuen Entwicklungen bei der Internetkriminalität. So können in Zukunft auch Täter verfolgt werden, die Kinder im Internet anbieten.

 

Daneben haben wir auch den Strafrahmen für Kinderpornographie angehoben; denn Kinderpornographie ist für uns keine Bagatelle.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ebenso wird es keine bloße Geldstrafe mehr bei sexuellem Missbrauch geben. Stattdessen wird die Mindeststrafe eine Freiheitsstrafe von drei Monaten sein. Dies macht den Unrechtsgehalt der Tat deutlicher.

 

Die Möglichkeiten, einen minder schweren Fall anzunehmen, haben wir stark eingeschränkt. Bei sexuellen Übergriffen empfinden die Opfer die Bezeichnung „minder schwer“ oft als Verharmlosung. Daher wurde diese Möglichkeit auch nur für den Einzelfall beibehalten.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die von Ihnen vorgeschlagene Mindeststrafe von einem Jahr für jede Form von sexuellem Missbrauch von Kindern ist eine Mogelpackung.

 

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Im minder schweren Fall, im Gegensatz zu Ihnen!)

 

Auf der einen Seite suggerieren Sie, es handle sich in jedem Fall um einen Verbrechenstatbestand, selbst wenn es um eine einvernehmliche sexuelle Handlung zwischen einer 13-Jährigen und einem 15-Jährigen geht. Auf der anderen Seite wollen Sie den minder schweren Fall beibehalten, der sogar mit einer Geldstrafe geahndet werden kann.

 

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Frau Schewe-Gerigk, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

 

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Hat sich erledigt!)

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Dies hat sich mit meinem letzten Satz erledigt. - Herr Röttgen, Sie sollten warten, bis ich fertig bin. Dann stimmen auch Sie mir zu.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Menschen mit Behinderungen sind besonders gefährdet, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Auch sie erhalten endlich den gleichen strafrechtlichen Schutz wie alle anderen.

 

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Herr Kauder möchte eine Zwischenfrage stellen. Sie genehmigen das?

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Selbstverständlich.

 

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Bitte schön, Herr Kauder.

 

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (CDU/CSU):

 

Frau Kollegin, weil es zum zweiten Mal falsch gesagt wird, erlaube ich mir eine Zwischenfrage: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass nach § 47 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafen von bis zu einem halben Jahr auch als Geldstrafen verhängt werden können und dass Ihre Behauptung, die Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten lasse eine Geldstrafe nicht zu, demnach falsch ist?

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Diese Mindeststrafe haben wir auf drei Monate festgesetzt. Natürlich besteht die Möglichkeit, in jedem einzelnen Falle eine Geldstrafe zu verhängen; das wissen wir. Trotzdem ist es wichtig, ein Signal zu geben, dass ein sexualisierter Missbrauch nicht mit Geld entkräftet werden kann. Für die Opfer, die Unrecht erlitten haben, ist es sehr wichtig, zu wissen, dass der Täter möglicherweise auch ins Gefängnis gehen muss. - Vielen Dank.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehe Anhörung!)

 

Ich möchte jetzt auf die widerstandsunfähigen Personen und damit auch gleich auf die Position der CDU/ CSU eingehen: Auch hier haben Sie gefordert, dass der Grundtatbestand der Vergewaltigung mit einem Jahr Strafe belegt wird. Wir haben gesagt: Wir belassen die jetzige Regelung. Aber die Mindeststrafe haben wir gestrichen. Insofern ist das zwar rechtsdogmatisch etwas anderes; aber wir kommen zu dem gleichen Ergebnis. Wir haben mit den Behindertenverbänden sehr intensiv darüber gesprochen. Die Vergewaltigung einer widerstandsunfähigen Person ist mit zwei Jahren Freiheitsstrafe belegt. In anderen Fällen wird § 177 StGB in Anrechnung gebracht; das wissen Sie genauso wie ich.

 

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist ein Verbrechenstatbestand! Das ist das Entscheidende!)

 

Wir haben weitere Verbesserungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen erreicht. Ich nenne hier nur die zwingende Nebenklagevertretung bei Menschen mit einer geistigen Behinderung, die Gleichstellung im ambulanten und stationären Bereich und die Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs in der Therapie bei körperlich Behinderten, die bisher davon ausgenommen wurden.

 

Aber alle gesetzlichen Verbesserungen - so nötig sie sind - haben eine Grenze und die heißt: Strafanzeige. Denn es lässt sich nur das verfolgen, was vorher zur Anzeige gebracht wurde. Deshalb muss es in unser aller Interesse sein, die Anzeigenbereitschaft zu erhöhen. Die Absicht, Menschen verstärkt zum Hinschauen zu bewegen, anstatt wegzuschauen, hat die Praxis begrüßt. Ernst zu nehmende Bedenken haben dazu geführt, die geplante Anzeigenpflicht wieder zurückzunehmen. Missbrauchsopfer brauchen Zeit. Sie brauchen unterstützende Hilfe durch Vertrauenspersonen, bevor sie im Strafverfahren aussagen können. Eine Pflicht zur Anzeige hätte für die Opfer die Hemmschwelle angehoben, sich jemandem anzuvertrauen. Erfahrungsgemäß ist das betroffene Kind dann zu keinerlei Aussage mehr bereit. Möglicherweise bliebe es dem sexuellen Missbrauch länger ausgeliefert.

 

Wir brauchen präventive Maßnahmen, Aufklärungsaktionen und ein möglichst breites Angebot an Beratungsmöglichkeiten. Ich stimme mit dem FDP-Antrag überein. Es tut gut, dass die FDP ihr Rechtsstaatsprofil schärfen möchte. Denn der Ausfall von Frau Pieper, Menschen für etwas zu bestrafen, was andere getan haben, hatte mit Rechtsstaatlichkeit und liberalem Denken nicht sehr viel zu tun.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir sind in vielen Punkten auf Sie zugegangen. Wir haben die Möglichkeit der DNA-Analyse auf alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erweitert, im Einzelfall bei einer geringfügigen Tat. Aber das ist Ihnen noch immer nicht genug: Sie fordern eine umfassende Erweiterung auf andere Delikte. Für uns ist das rechtsstaatlich äußerst bedenklich. Da machen wir nicht mit.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ebenso sieht es mit der Sicherungsverwahrung für Heranwachsende aus. Sie wollen eine nachträgliche Anordnung bis zum Tage vor der Entlassung, ohne dass das Gericht das im Urteil vorgesehen hat. Das halten wir für verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Stattdessen haben wir uns für einen eng eingegrenzten Bereich entschieden, zum Beispiel wenn jemand zu einer Strafe von fünf Jahren verurteilt wurde und der Vollzug der Strafe grundsätzlich in einer sozialtherapeutischen Anstalt erfolgt.

 

Im vorliegenden Gesetzentwurf und im Entschließungsantrag wird der Fokus auf die strafrechtlichen Aspekte gelegt. Allerdings kann das beste Strafrecht nicht ersetzen, was wir alle zu verantworten haben: eine sensible und aufmerksame Gesellschaft, die jede Form von sexualisierter Gewalt ächtet und den Opfern Schutz und Hilfe bietet.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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