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Irmingard Schewe-Gerigk, Schutz vor Sexualverbrechen

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

 

Frau Kollegin Laurischk, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

 

(Beifall)

 

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen.

 

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letzten Jahr sind vier Kinder einem der schlimmsten Verbrechen zum Opfer gefallen, das wir uns vorstellen können. Sie wurden sexuell missbraucht und getötet. Auch für die Angehörigen ist es kein Trost, wenn wir feststellen, dass die Zahl dieser furchtbaren Delikte abnimmt. Vor zehn Jahren waren es sieben Kinder, vor 20 Jahren noch 13 Kinder. Wir müssen alles dafür tun, um solche Straftaten möglichst zu verhindern. Zu Recht fragt sich die Gesellschaft nach jedem dieser schrecklichen Fälle: Tun wir wirklich alles zum Schutz der Kinder?

 

In diesem Kontext steht auch der heutige Gesetzentwurf der CDU/CSU. Ich nehme Ihnen ab, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass Sie es gut meinen, aber gut gemeint ist nicht immer gut. Die Mittel, die Sie vorschlagen, sind ungeeignet. Sie missbrauchen die Ängste der Bevölkerung nach solchen Sexualverbrechen, um populistische Maßnahmen vorzuschlagen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ CSU]: Das ist Unsinn! Was ist daran populistisch?)

 

Sie suggerieren, mit einer Erhöhung des Strafmaßes könne der Schutz der Opfer vor Sexualstraftaten verbessert werden. Das ist nicht nur undifferenziert, sondern auch kontraproduktiv.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Neben dieser grausamsten Form sexualisierter Gewalt gibt es eine hohe Zahl an sexuellen Übergriffen. Herr Bosbach hat es gerade gesagt: Jedes Jahr werden circa 15000 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern angezeigt. Drei Viertel der Opfer sind Mädchen, ein Viertel der Opfer Jungen. Hinzu kommen jährlich ungefähr 7000 Vergewaltigungen. Dabei kommen die Täter meistens aus dem Familien- oder Bekanntenkreis der Opfer.

 

Sexualisierte Gewalt ist Mord an der Seele der Kinder; das wissen alle, die sich mit den Opfern beschäftigen. Wenn fremde Menschen diese Verbrechen begehen, ist die Traumatisierung der Kinder schon schwer genug zu verarbeiten. Wenn aber der Täter zum vertrauten, familiären oder sozialen Umfeld gehört, ist die Tat schier unerträglich. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch die vielen bekannt gewordenen Missbrauchsfälle von Priestern.

 

Die Anzahl der registrierten Fälle von sexuellem Missbrauch hat in den letzten Jahrzehnten insgesamt abgenommen. Wir wissen aber auch, dass die weit überwiegende Zahl der Fälle nach wie vor nicht zur Anzeige gebracht wird. Hier hilft Prävention durch Information. Die größere öffentliche Sensibilisierung für das Thema hat zu einer gestiegenen Anzeigebereitschaft seit Beginn der 90er-Jahre geführt. Hier müssen wir auch weiter ansetzen; denn die Strafanzeige ist nun einmal die Grundlage, um Täter strafrechtlich verfolgen und auch verurteilen zu können. Herr Bosbach, Ihre Vorschläge gehen da einfach an der Praxis vorbei. Wenn eine Erhöhung der Mindeststrafe die Opfer tatsächlich schützen würde, dann hätten Sie uns an Ihrer Seite. Sie tut es aber nicht.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ich habe mir zur Vorbereitung dieser Debatte die Rechtsprechungspraxis der letzten Jahre angeschaut. Die Vergleichszahlen von 1984, 1993 und 1998 belegen: Im Fall von sexuellem Kindesmissbrauch sind insgesamt ein Anstieg der Zahl der verhängten Freiheitsstrafen und eine höhere Ausschöpfung des Strafmaßes zu verzeichnen. Aber worauf es hier besonders ankommt, ist: Die Anzahl derjenigen, die zu mindestens einem Jahr verurteilt wurden, hat ebenso zugenommen wie die Zahl der zu einer mehr als fünfjährigen Haftstrafe Verurteilten. Das können Sie in dem ersten periodischen Sicherheitsbericht von BMI und BMJ aus dem Jahr 2001 nachlesen.

 

Bereits heute ist jeder Fall von sexuellem Missbrauch, der die Gefahr einer erheblichen Schädigung der seelischen Entwicklung mit sich bringt, mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt. Also das, was Sie wollen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gibt es schon.

 

Ihr Vorschlag, den Opferschutz durch eine Erhöhung des Strafrahmens für "einfachen" sexuellen Missbrauch zu verbessern, zielt in die falsche Richtung. Wollen Sie wirklich, dass die einvernehmliche sexuelle Handlung zwischen einer 13-Jährigen und einem 14-Jährigen zu einer Jugendstrafe führt?

 

Und eine andere Folge ist absehbar: Eine Heraufstufung des Strafmaßes hätte voraussichtlich vor allem für die Opfer negative Folgen; die Kollegin von der FDP hat es gerade ausgeführt. Es käme immer zu einer Hauptverhandlung mit den entsprechenden schädlichen Auswirkungen für die Kinder. Auch in den leichtesten Fällen wäre eine Verfahrenseinstellung gegen Auflagen nicht möglich. Gerade unter dem Aspekt des Opferschutzes ist dies nur als kontraproduktiv zu bezeichnen, wie es auch der Anwaltverein in seiner Pressemitteilung formuliert hat.

 

Mit der von Ihnen vorgeschlagenen nachträglichen Sicherungsverwahrung und der DNA-Analyse wird sich gleich mein Kollege Montag intensiv auseinander setzen.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode deutliche Verbesserungen zum Schutz der Opfer erreicht. Ich nenne nur das Gewaltschutzgesetz, die Heraufsetzung des Beginns der Verjährungsfrist für Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auf das 21. Lebensjahr, die Telefonüberwachung bei schwerem sexuellen Missbrauch und Kinderpornographie. Das sind nur einige Punkte.

 

Wir werden uns weiterhin sowohl für den verbesserten Opferschutz als auch für die sozialtherapeutische Behandlung der Täter einsetzen. Sich für das Recht von Mädchen und Jungen auf seelische und körperliche Unversehrtheit einzusetzen, das muss unser aller Anliegen sein. Mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf ist das nicht möglich. Lassen Sie uns aber in den Beratungen noch einmal schauen, ob es Dinge gibt, die wir gemeinsam auf den Weg bringen können, um diesem Ziel nahe zu kommen.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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