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Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen

Weltweit sind 130 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt, laut einer im November 2005 veröffentlichten Unicef-Studie kommen jährlich drei Mil-lionen hinzu. Unabhängig davon, welche Variante dieses grausamen Rituales gewählt wird: Bei Genitalverstümmelung handelt es sich um eine schwere Menschenrechtsverletzung. Sie fügt den Mädchen irreparable physische und psychische Schäden zu. Langfristige Folgen der Beschneidung sind oftmals Infektionen, lebenslange Schmerzen, wiederkehrende Blutungen, Depressionen und Psychosen. Des Weite-ren führt sie zu gravierenden Beeinträchtigungen der Sexualität der Frauen. Für die Geburt eines Kindes bedeutet weibliche Genitalverstümmelung lebensgefährliche Komplikationen für Mutter und Kind.

 

Die Tradition der Genitalverstümmelung ist keiner bestimmten Religion zuzurechnen. Zu Unrecht wird sie häufig mit einem (missverstandenen) Islam begründet. In den betroffenen Regionen üben Muslime, Katholiken, Protestanten, orthodoxe Kopten, Animisten und Atheisten die Beschneidung weiblicher Genitalien aus. Die Rechtfertigungen beruhen auf Mythen und auf Unkenntnis medizinischer und biologischer Fakten. Im Grunde geht es dabei immer darum, im Rahmen männlicher Machtansprüche die weibliche Sexualität und Fruchtbarkeit zu kontrollieren. Obwohl meist gesetzlich verboten, ist die weibliche Genitalverstümmelung in rund 28 afrikanischen Ländern verbreitet, kommt aber auch auf der arabischen Halbinsel und in Asien vor. In einigen Ländern ist ein Rückgang zu verzeichnen, in anderen, wie Ägypten, Guinea und Sudan werden nach wie vor 90 Prozent aller Mädchen beschnitten. Frauen, die keiner Genitalverstümmelung unterzogen wurden, können hier oftmals nicht heiraten. Je ärmer die Familien, umso stärker lastet auf ihnen der Druck, ihre Töchter verstümmeln zu lassen. Selbst ihr Tod wird um der Tradition und der Familienehre willen einkalkuliert: Bei der Infibulation als der radikalsten Form liegt die Todesrate bei 30 Prozent. Sie wird in etwa bei 15 Prozent aller Fälle vorgenommen. Den Mädchen werden neben der Amputation der Klitoris auch die äußeren Schamlippen teilamputiert und über der Vagina so miteinander vernäht, dass lediglich eine reiskorngroße Öffnung für Urin und Menstruationsblut verbleibt.

 

Durch Migration und Flucht leben heute immer mehr Frauen in Europa, die in ihren Herkunftsländern beschnitten wurden. Es ist Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes 1999 gelungen, dass drohende Genitalverstümmelung als eigenständiger Asylgrund anerkannt werden kann. Vielfach wird an der Praxis der Genitalverstümmelung aber auch in Europa fest gehalten. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes und Terres des Femmes sind in Deutschland etwa 29.000 Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht.

 

Viele europäische Staaten sind bereits der Empfehlung der Vereinten Nationen ge-folgt und haben Genitalverstümmelung explizit in ihre Strafgesetzbücher aufgenom-men, wie beispielsweise Schweden, Großbritannien, Norwegen, Belgien, Dänemark, Spanien, Österreich und Italien. Die Rechtslage in Deutschland ist weniger eindeutig als es wünschenswert wäre. Zwar ist weibliche Genitalverstümmelung als Körperverletzung strafbar, einschließlich des Wiedervernähens der für eine Geburt geöffneten Schamlippen, der Reinfibulation. Eine Einwilligung ist unwirksam. Da die Beeinträch-tigungen durch eine Genitalverstümmelung einer schweren Körperverletzung durch den Verlust eines Körpergliedes oder seiner dauernden Gebrauchsunfähigkeit glei-chen, halten wir aber eine ausdrückliche Aufnahme in den Straftatbestand des § 226 StGB für notwendig. Eine gesetzliche Regelung könnte durch ein klares Verbot eine wichtige Signalwirkung entfalten sowie ÄrtztInnnen und MigrantInnen Rechtssicher-heit geben.

 

Ein Verbot allein wird die Praxis der Genitalverstümmelung allerdings nicht beenden. Information und Aufklärung über die körperlichen und seelischen Folgen weiblicher Genitalverstümmelung und über die Rechtslage in Deutschland sind Voraussetzung dafür, dass ein explizites Verbot seine Wirkung entfalten kann. Dass für viele Flücht-linge aus den betroffenen Ländern bisher die vermeintliche Pflicht, ihre Töchter beschneiden zu lassen, höher steht als das Verbot, hängt auch damit zusammen, dass über das Verbot nicht ausreichend informiert wird. Auch muss versucht werden, durch Aufklärungskampagnen ein Umdenken herbeizuführen. Die Grünen haben 1997 die Diskussion in der Öffentlichkeit mit einer großen Fachanhörung im Bundes-tag in Gang gesetzt, und mit einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dafür ge-sorgt, dass das Thema im Deutschen Bundestag diskutiert wurde.

 

Um eine Genitalverstümmelung an den Töchtern vorzunehmen, gibt es für die Eltern zwei Wege: Entweder die Mädchen werden zur Beschneidung ins Ausland verbracht. Dazu hat der Bundesgerichtshof Ende 2004 ein wegweisendes Urteil gefällt. Demzu-folge darf der Staat in das Sorgerecht der Eltern – in diesem Fall in das Aufenthalts-bestimmungsrecht – eingreifen, wenn dem Kind ansonsten eine Genitalverstümme-lung droht, weil dies eine „grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtferti-gende Misshandlung“ und mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren sei. Diese Ent-scheidung ist sehr zu begrüßen, sie gibt der Rechtsprechung zur Genitalverstümme-lung eine klare Orientierung. Nach wir vor gibt es aber auch in Deutschland Personen – darunter auch ÄrztInnen – die bereit sind, eine Verstümmelung weiblicher Genita-lien durchzuführen. Neben der Aufklärung der Öffentlichkeit ist daher vor allem die Information bestimmter AkteurInnen nötig. Das sind zum einen Strafverfolgungsbe-hörden und Polizei. Eine der wichtigsten Zielgruppen ist die Ärzteschaft. So sind viele ÄrztInnen in Deutschland über weibliche Genitalverstümmelung nicht informiert. Sie werden erst dann mit dem Problem konfrontiert, wenn betroffene Patientinnen zur Behandlung in die Praxis kommen.

 

Die Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes führte in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband Deutscher Frauenärzte im Jahr 2005 eine Befragung unter FrauenärztInnen zu Erfahrungen mit weiblicher Genitalverstümmelung durch. Nur ein Bruchteil der befragten 13.000 ÄrztInnen, nämlich 493, haben geantwortet. Neben anderen Ursachen kann dies auch als Anzeichen dafür gewertet werden, welchen Nischenstatus das Thema auch bei den Ärztinnen und Ärzten hat. Eine überwältigende Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte äußerte den Wunsch nach Fortbildung, um sich über medizinische und rechtliche Aspekte weiblicher Genitalverstümmelung zu informieren. Unklar ist zum Beispiel, wie Ärzte reagieren sollen, wenn sie von einer bevorstehenden weiblichen Genitalverstümmelung erfahren. Von den ÄrztInnen, die an der Befragung teilnahmen, gaben immerhin 9,7 Prozent an, von in Deutschland vorgenommenen Beschneidungen gehört zu haben; 7,1 Prozent wuss-ten von Patientinnen, die ihre Tochter in der Heimat beschneiden lassen wollten. Ärz-tinnen und Ärzte sollten darüber informiert sein, dass sie sich ohne Angst vor rechtli-che Folgen an ein Amt wenden können, wenn sie von einer drohenden Genitalver-stümmelung Kenntnis erhalten. Denn wenn es darum geht, drohende Straftaten ab-zuwenden, gilt die ärztliche Schweigepflicht nicht. Ebenso müssen ÄrztInnen darüber informiert werden, dass sie sich auch mit einer Reinfibulation strafbar machen und sogar ihre Approbation verlieren können. Nachahmenswert ist das Beispiel der Schweiz: Dort gibt es seit Februar 2005 eine Empfehlung für ÄrztInnen, Hebammen und Pflegekräfte zum Umgang mit beschnittenen Patientinnen. Diese wurde von der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe herausgegeben und gemeinsam mit dem Hebammenverband, Sozialverbänden, UNICEF, dem Bundes-amt für Gesundheit und anderen erarbeitet.

 

Es ist sinnvoll, im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung die Frauen aus den betroffenen Ländern selbst zu Wort kommen zu lassen. Organisationen wie Terre des Femmes oder Intact arbeiten mit ihnen intensiv zusammen. Mehr und mehr fordern die Frauen nun die Unterstützung und Solidarität aus dem Norden gegen genitale Verstümmelung ein. Denn Frauenrechte gelten in jedem Land gleich. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung. Weltweit ebenso wie auch innerhalb unserer Landes.

 

Bündnis 90/Die Grünen fordern:

 

1. Sicherzustellen, dass Länder, in denen Genitalverstümmelung in einem nicht unerheblichen Ausmaß stattfindet, weder durch deutsche Behörden noch durch die Europäische Union als so genannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden dürfen.

2. Migrantinnen und Migranten, die aus Ländern stammen, in denen Genitalverstümmelung praktiziert wird, frühzeitig über die Strafrechtslage in Deutschland zu informieren.

3. Durch sensible Aufklärungskampagnen ein Umdenken herbeizuführen. Es muss deutlich werden, dass Eltern ihren Kindern mit einer Genitalverstümmelung eine schwere Körperverletzung und lebenslange Qualen zufügen.

4. Weibliche Genitalverstümmelung öffentlich zu thematisieren und zu diskutie-ren, um ein Klima der Aufmerksamkeit für diese Menschenrechtsverletzung zu erzeugen.

5. Dafür Sorge zu tragen, dass Genitalverstümmelung aus medizinischer wie aus rechtlicher Sicht in die medizinische Aus- und Fortbildung Eingang findet.

6. ÄrztInnen-, Hebammen- und Pflegeorganisationen aufzufordern, entsprechend dem Vorbild der Schweiz gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit beschnittenen Patientinnen zu entwickeln und zu verbreiten.

7. Die Genitalverstümmelung ausdrücklich in den Straftatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) aufzunehmen.

8. Die Strafverfolgungsbehörden zum Problem der weiblichen Genitalverstümmelung aufzuklären und fortzubilden.

9. Kooperationen von interdisziplinären und interministeriellen Netzwerken zur Verhinderung und Bekämpfung von weiblicher Genitalverstümmelung zu gründen, auszubauen und zu unterstützen

10. Sich bei den Bundsländern dafür einzusetzen, dass Beratungsstellen für Opfer und potenzielle Opfer entweder neu geschaffen und finanziert oder bereits vorhandene Beratungsstellen um entsprechende Angebote ergänzt werden.

11. LehrerInnen und ErzieherInnen für das Thema zu sensibilisieren.

12. In der Entwicklungszusammenarbeit Projekte zu unterstützen, die sich in den betroffenen Ländern für die Abschaffung der Genitalverstümmelung engagie-ren.



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