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Reisebericht vom Staatsbesuch in Indien

Pranab Mukherjee, Präsident der Republik Indien, der mit 1,2 Milliarden Menschen größten Demokratie der Welt, Premierminister Manmohan Singh sowie der zu einem Staatsbesuch angereiste Bundespräsident Joachim Gauck sprachen in Neu Delhi über die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen. Das war zumindest für den deutschen Bundespräsidenten keineswegs ein Zufall. Er hatte sich vorgenommen, bei seinem Besuch nicht nur über Indien als erstem Land in Asien zu sprechen, mit dem Deutschland Regierungskonsultationen durchgeführt hat, sondern sehr gezielt sowohl mit der indischen Regierung als auch den Nichtregierungsorganisationen über Frauenrechte zu reden. Denn nie zuvor wurde in deutschen und internationalen Medien so viel über Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die brutalen Massenvergewaltigungen, an Frauen in Indien berichtet. Das war auch der Grund, weshalb der Bundespräsident die Vorstandsvorsitzende von TERRE DES FEMMES, Irmingard Schewe-Gerigk, im Dezember 2013 eingeladen hatte, ihn auf seiner Reise nach Indien und Myanmar zu begleiten. Dass sich drei Tage nach den spektakulären Äußerungen des Bundespräsidenten auch der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan in Neu Delhi für eine  Ächtung der Gewalt gegen Frauen aussprach, war nicht nur eine wichtige Unterstützung für die seit den 1970er Jahren existierende starke indische Frauenbewegung. Die Mahnung Annans bestätigt, dass diese Debatte nun endlich nicht mehr nur in Fachkreisen, sondern auf höchster Ebene und auf den Titelseiten der Zeitungen geführt wird. Lediglich ein Artikel in einer großen deutschen Zeitung kritisierte die Einmischung des Bundespräsidenten, alle anderen Medien fanden lobende Worte für diesen mutigen und eigentlich längst überfälligen Schritt.

 Gesellschaftliche Veränderungen sind notwendig

„Wenn man sich selbst verändert, dann verändert man die Welt“, hatte einst der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi gesagt. Aber genau diese gesellschaftliche Veränderung ist das Problem in großen Teilen Indiens. Man hat das Gefühl, die indische Gesellschaft lebt gleichzeitig in mehreren Jahrhunderten. Da ist auf der einen Seite das hochmoderne demokratisch verfasste Land, das Spitzentechnologien entwickelt hat und in dem es Frauen in höchste politische Ämter geschafft haben und ein Drittel der Beschäftigten in den IT-Berufen stellen.  Auf der anderen Seite müssen Frauen gerade auf dem Land (70% der indischen Bevölkerung leben in Dörfern) so leben wie vor 200 Jahren. Sie leiden unter einem extrem frauenfeindlichen Umfeld. Religion, Tradition (das 2000 Jahre alte immer noch existente Kastensystem) aber auch soziale Strukturen weisen den meisten eine Stellung zu, die weit unterhalb derer von Männern liegt. Und die Abwertung des Weiblichen beginnt bereits im Mutterleib. Nicht nur in der armen Bevölkerung wünschen sich indische Familien männlichen Nachwuchs. Obwohl die pränatale Geschlechtsbestimmung zur Selektion weiblicher Föten seit 1994 gesetzlich verboten ist, werden täglich annähernd 10 000 weibliche Föten abgetrieben oder direkt nach der Geburt getötet. Begründet wird dies nicht nur mit der Minderwertigkeit von Frauen sondern auch mit der Armut. Vielen armen Familien fehlt das Geld für die Mitgift, die die Familie einer Frau in die Familie des Ehemannes bringen muss. Diese Tradition besteht weiter fort, obwohl ein Gesetz von 1961 die Mitgiftpraxis verbietet. Mitgiftmorde sind bekannt, bisher wurden allerdings nur wenige Fälle gerichtlich verfolgt.

 

Gesetze schützen Indiens Frauen nicht ausreichend

Das ist das eigentlich Fatale. An Gesetzen zum Schutz der Frauen mangelt es nicht. Gerade das Sexualstrafrecht ist in den letzten Jahren auch aufgrund der Straftaten gegen Frauen verschärft worden. Die Umsetzung dieser Gesetze hängt jedoch Jahrzehnte zurück, da es große Teile der Gesellschaft gibt, bei denen diese Gesetze weder bekannt sind, noch haben sie ein Interesse, sie überhaupt zu befolgen. So bildet das Recht einen starken Kontrast zur faktischen Lage von Frauen. Dabei waren es große Teile der Zivilgesellschaft, die für eine Vielzahl von Gesetzen auf Grundlage der indischen Verfassung gekämpft haben. So ist z.B. die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts per Gesetz verboten; eine „positive Diskriminierung“ ähnlich wie in Deutschland erlaubt. Auch werden alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, auf Praktiken zu verzichten, die die Würde der Frau verletzen. Aber derlei Praktiken gibt es viele.

Obwohl die Heirat zwischen Männern und Frauen unterschiedlicher Kasten seit dem „Special Marriage Act von 1954“erlaubt ist, findet dieses Gesetz in der Bevölkerung wenig Akzeptanz. 90% der Eltern lehnen dies ab, so dass es zu „Ehrenmorden“ oder sogenannten Selbstmorden führen kann, wenn sich die Töchter selbst für einen Mann aus einer anderen Kaste oder Religion entscheiden.

Obwohl das gesetzliche Heiratsalter in Indien bei 18 Jahren liegt, werden fast die Hälfte aller Mädchen schon als Kinder zwangsverheiratet. Das hat katastrophale Folgen für die Gesundheit (hohe Mutter- und Säuglingssterblichkeit) und die Bildung der Mädchen (nur 65% der Frauen konnten 2011 lesen und schreiben, während es bei Männern über 80% waren). Aber solange die frühe Verheiratung von Mädchen sogar von hohen Politikern gefordert wird, um Vergewaltigungen zu vermeiden, haben Eltern keinerlei Unrechtsbewusstsein. Hinzu kommt, dass Massenvergewaltigungen sogar auf Befehl von Dorfvorstehern als Strafe angeordnet werden und von großen Teilen der Gesellschaft zumindest geduldet werden.

Auch das weltweite Phänomen der häuslichen Gewalt ist in Indien sehr präsent. Daran hat auch das 2005 erlassene Gesetz zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt nichts geändert. Wie langwierig der Prozess der Bewusstseins- und Verhaltensänderung ist, zeigt eine im Jahre 2006 durchgeführte Studie der Vereinten Nationen. Danach hielten 70% der indischen Frauen Gewalt gegen sich selbst unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt. Hier findet sich auch die Erklärung für das geringe Anzeigeverhalten. Ein wesentlicher Grund hierfür findet sich im Verhalten der Polizei, die bei Anzeigen häufig die Frauen verhöhnt, verprügelt oder nochmals vergewaltigt. Wie wenig aussagekräftig allerdings Statistiken sind, zeigt, dass statistisch in Indien alle 20 Minuten eine Frau vergewaltigt wird, in Deutschland alle drei Minuten. Es handelt sich eben nicht um die Zahl der Vergewaltigungen, sondern der Anzeigen.

Das war auch ein Punkt, der von den sechs eingeladenen Menschenrechtsaktivistinnen angesprochen wurde. In einem zweistündigen intensiven Meinungsaustausch räumten sie allerdings ein, dass diese Zahlen wohl nicht vergleichbar und durch ein sehr unterschiedliches Anzeigeverhalten zustande gekommen seien. Sie vermittelten sehr überzeugend, wie sie als gut vernetzte Frauenbewegung und sehr aktive Zivilgesellschaft unermüdlich die Themen der geschlechtsspezifischen Gewalt in die Öffentlichkeit bringen. „Gewalt gegen Frauen darf nicht als indisches Phänomen betrachtet werden“, äußerte die Frauenrechtlerin Ranjana Kumari, die das Centre for Social Research in Neu Delhi leitet und Kampagnen für eine 33%ige Frauenquote im indischen Parlament und gegen geschlechtsspezifische Abtreibungen durchführt. Sie fand natürlich die volle Zustimmung der deutschen Seite. Die indische Gesellschaft sei im Umbruch. Natürlich habe es diese schrecklichen Vorfälle über die jetzt international berichtet würde, schon immer gegeben, aber jetzt werde endlich darüber geschrieben. Das Veröffentlichen dieser Frauenrechtsverletzungen sei ein erster wichtiger Schritt zur gesellschaftlichen Veränderung. In der Politik sei die Diskriminierung von Frauen  bisher kaum ein Thema, daher seien sie sehr froh über die prominente Unterstützung des Bundespräsidenten. Dass die Frauenthemen auch in der deutschen Politik eher nachrangig behandelt werden, erstaunte die indischen Gäste.

Anjali Gopalan, Direktorin einer Stiftung, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Indien einsetzt, erbat die ausdrückliche Unterstützung der deutschen Regierung bei der Entkriminalisierung von Homosexualität. In Neu Delhi hatte der Oberste Gerichtshof erst im Dezember 2013 entschieden, dass Homosexualität wieder strafbar sei – und damit ein gegenteiliges Urteil des Delhi High Court aus dem Jahre 2009 aufgehoben.

Ein anschließendes Gespräch mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, und der Frauenrechtsaktivistin Kamla Bhasin von der Organisation „Jagon“, die in Deutschland mit dem Roland-Berger-Preis ausgezeichnet wurde, machte deutlich , wie eng die Zusammenarbeit zwischen Indien und Deutschland beim Thema Frauenrechte und wirtschaftliche Entwicklung schon ist. Kamla Bhasin besucht im Juni auf Einladung von TERRE DES FEMMES die Schweiz. Es wurde die Idee erörtert, eventuell gemeinsam einen Kongress in Deutschland zum Thema Frauenrechte durchzuführen. Schon heute stellt das BMZ im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit BMZ umfangreiche Fördergelder für indische Frauenprojekte zur Verfügung.

Präventionsarbeit

Wichtige Stationen des Besuchs waren auf Wunsch von Daniela Schaft eine Reihe von Projekten, die sehr eindrucksvolle Einblicke in die Arbeit von Hilfsorganisationen ermöglichten. Sei es in einer Schule für junge Frauen, die ihre erworbenen Kenntnisse später in Heimarbeit anwenden, weil es ihre Männer nicht erlauben, dass sie außerhalb des Hauses erwerbstätig sind. Oder die Begegnung mit Mädchen eines UNICEF-Projekts gegen Kinderheirat und Menschenhandel. Das Selbstbewusstsein, mit dem diese Mädchen trotz ihrer furchtbaren Erlebnisse auftraten und voller Zuversicht über ihre Zukunft redeten, machten deutlich, wie wichtig hier eine Unterstützung ist. Dass die Polizei beim Thema Gewalt gegen Frauen eine besondere Rolle spielt, haben wie in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland gespürt. Ebenso ist es in Indien. Leider ist es zunächst nur ein Modellprojekt, aber durch eine gendersensible Schulung von Polizisten haben die Mädchen Vertrauen selbst zur Polizei gewonnen. Schafft es eine von zuhause wegzulaufen und der Polizei z.B. von ihrer bevorstehenden Kinderheirat zu berichten, suchen die Polizisten die Eltern auf und erklären mit der ganzen Autorität ihres Amtes, dass es sich dabei um eine Straftat handelt. So konnte schon manche Zwangskinderehe verhindert werden. Auch im Straßenkinder-Projekt Don Bosco wird ganze Hilfe geleistet.  Aus der Not heraus kriminell gewordenen Kindern wird eine Perspektive angeboten. Wer auf den Hauptbahnhof von Bangalore geht und sieht, dass dort täglich zehn elternlose oder weggelaufene Kinder durch Streetworker vor der Kinderprostitution, der Kinderarbeit oder der Organentnahme gerettet werden, weiß, wo Hilfe gebraucht wird.

 

Welche Unterstützung ist notwendig und erwünscht?

Der Bundespräsident hat mit seinen offenen Worten den Anfang gemacht. Durch seine persönliche Überzeugung und sein Engagement hat der erste Mann im Staate als erster das Thema Frauenrechte als TOP-Thema auf die politische Agenda von Premierminister und Präsident der Republik Indien gebracht. Das ist ein enormer Rückenwind für die starke indische Frauenbewegung und man kann nur hoffen, dass weitere Staatsmänner seinem Beispiel folgen.

Wir haben keinen Grund, Gewalt an Frauen als indisches Phänomen anzusehen, sondern es ist ein weltweites und damit auch ein westliches Problem. Jede Überheblichkeit und Besserwisserei ist daher nicht angebracht. Darum müssen wir, wenn gewünscht, die starken zivilgesellschaftlichen Bemühungen um Gleichberechtigung durch Projekte personell und finanziell unterstützen. Dies kann sowohl über die Zusammenarbeit mit deutschen und indischen Nichtregierungsorganisationen als auch über Förderprogramme des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geschehen.

Wir müssen kulturelle Unterschiede akzeptieren und als Bereicherung ansehen, dennoch ist Kulturrelativismus nicht angesagt. Zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen dürfen wir nicht schweigen.

Dazu brauchen wir einen Wandel, um das bestehende Männerbild, das Gewalt gegen Frauen legitimiert, weltweit zu überwinden. Was liegt da näher als eine globale solidarische Frauenbewegung?

Myanmar

Beim anschließenden Besuch in Myanmar spielte das Thema Frauenrechte keine so bedeutende Rolle. Die formale Gleichberechtigung ist weitgehend erreicht, an den Universitäten lehren Mehr Professorinnen als Professoren. Präsidentengattin Khin Khin Win war im Gespräch mit Daniela Schadt voll des Lobes für das Erreichte. Nicht so die Friedensnobelpreisträgerin und eventuelle Präsidentschaftskandidatin Aung San Suu Kyi. Sie sieht hier noch viel Handlungsbedarf, insbesondere beim Thema Gewalt gegen Frauen. Viele Frauen werden aus Myanmar in die umliegenden Nachbarländer verschleppt, um rechtlos als billige Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden. Ein großes Problem sei auch der Menschenhandel nach China. Frauen aus Myanmar würden dort gegen ihren Willen verheiratet, weil durch die Ein-Kind-Politik Chinas nicht genügend Frauen im Lande seien.

Ob Aung San Suu Kyi allerdings überhaupt als Präsidentin kandidieren kann, hängt von einer Verfassungsänderung ab, die noch nicht abgesehen werden kann. Ihre Kinder haben nicht die birmesische Staatsangehörigkeit, da sie in England sind. Das ist jedoch bisher eine Voraussetzung für die Kandidatur. Hinzu kommt, dass nicht davon auszugehen ist, dass das Militär Macht abgeben will. Immerhin steht ihm automatisch ohne Wahl 25% der Parlamentssitze zu. Insofern ist die Situation für die Ikone der Demokratiebewegung alles andere als einfach. Aung San Suu Kyi ist eine starke Frau, die die 15jährige Isolation und der Hausarrest nicht gebrochen haben. Sollte sie im Dezember 2015 Präsidentin von Myanmar werden, kann man sicher sein, dass die Menschenrechte und die Frauenrechte einen hohen Stellenwert ihrer Arbeit einnehmen.

 

 

 

 

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